piwik no script img

Trendlaube im Wald

Neuer Corona-Horx von Meister Matthias Murks

Glaskugelfoto: reuters

Seit die gute Corona ihr Unwesen treibt, ist die Welt aus den Fugen – auch für die Zukunftsforscher. Früher traten die Meister des Trends nur in Erscheinung, wenn es kalt wurde in deutschen Landen und Weihnachten all seine kühlen Schrecken ausbreitete und die Menschen bang über ihre Zukunft nachdachten. Dann krabbelte der Trendforscher aus seiner Höhle, um mit hellseherischem Weitblick allerlei Prophezeihungen vor seinem staunenden Publikum auszubreiten. So wie der berühmte Weissager Matthias Murks, der seinen üblichen Horx verkündete.

Doch nun herrscht Corona, und Murks musste darüber ein ganzes Buch schreiben, das den sagenhaft überraschenden Titel trägt: „Die Zukunft nach Corona“ (Econ, 15 Euro). Wie das Science-Fiction-Blatt Bild am Sonntag berichtete, hat er sich dafür sogar einen „Clou“ ausgedacht: „Er versetzte sich in die Zukunft nach der Krise.“

Dieses sensationelle Verfahren führte Murks in den Wald und zu tiefschürfenden Erkenntnissen: „Zu Beginn des Lockdowns war der Wald bei uns am Stadtrand plötzlich voll von Menschen, die ausgiebige Spaziergänge machten … sie strahlten eine enorme Kraft aus, eine Wandlungskraft. Ich bin überzeugt, dass dieses Gefühl nach der Krise nicht völlig verloren gehen kann.“

Wandlung durch Kraft durch Spaziergänge durch Wald – das ist die Lösung aller Probleme und ein typischer Murks, bietet der Augur der Welt doch seit Jahren die abenteuerlichsten Ferndeutungen an, vermutlich bei Spaziergängen am Stadtrandwald ersonnen: So propagierte er im Laufe der Zeit beispielsweise die „Schnäppchenkultur“, das „Gärtnern“, den „Kuschelsex“, die „Europhorie“ und das „Cocooning“ oder wie auch immer er den jeweiligen Mumpitz nannte, den er sich jedes Jahr aus den Fingern sog. Nun also anno corona 2020 das Waldwandling. Das er sich sicher schon vor Corona ausgedacht hatte, aber während der Beschränkungen musste er ja irgendwie den verdammten Buchvertrag erfüllen.

Ein kurzer Blick in die Glaskugel, ein geübter Griff in den Zylinder, ein mageres Geraune über Zusammenhalt und ein naheliegendes Fazit, dass nämlich das böse Virus ein „Evolutionsbeschleuniger“ sei – und fertig ist wieder einmal die Zukunftsgartenlaube. Matthias Murks kann zurück in seine wärmende Höhle am Stadtrand, bis es Weihnachten wird und Gevatter Trend nach ihm ruft: „Horx, Horx, Horx!“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen