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„Treibjagden“ gegen Behinderte beklagt

■ Die UNO-„Dekade der Behinderten“ geht zu Ende/ Funktionäre stellen zunehmende „Kälte“ gegen Behinderte fest und kritisieren Neigung zu „Kosten-Nutzen-Analyse“/ Erinnerung an Nazi-Terror

Frankfurt a.M. (epd) – Immer häufigere und brutalere Überfälle auf Behinderte sowie ein zunehmend aggressives Klima gegen wehrlose Menschen haben Behindertenverbände und Hilfsorganisationen in Deutschland beklagt. „Die Gewalt richtet sich derzeit generell gegen alle Schwachen“, erklärte der Präsident des Verbandes der Kriegs- und Wehrdienstopfer, Behinderten und Sozialrentner Deutschlands (VdK), Walter Hirrlinger, am Montag gegenüber dem Evangelischen Pressedienst in Frankfurt am Main. Nach den Asylbewerbern und anderen Ausländern würden jetzt auch die Alten und Schwerbehinderten „Opfer des Terrors“. In einigen Fällen habe es regelrechte „Treibjagden“ auf Menschen mit Behinderungen gegeben.

Zum Abschluß der von den Vereinten Nationen ausgerufenen „Dekade der Behinderten“ Ende dieses Jahres seien eine deutliche Klimaverschlechterung und eine „gewisse Kälte“ gegenüber Behinderten feststellbar, betonte Hirrlinger, der auch Präsident des Europäischen Verbands der Behinderten ist. Auch im politischen Bereich drohten im Zuge des „Solidarpaktes“ Einsparungen bei den Schwächsten, kritisierte der VdK- Präsident.

„Wachsende Ablehnung und verletzende Äußerungen“ haben Behinderte und ihre Angehörigen auch nach Auffassung des Präsidenten des Diakonischen Werkes der Evangelischen Kirche in Deutschland, Karl Heinz Neukamm (Stuttgart), in jüngster Zeit stark beunruhigt. „Stehen wir am Anfang eines einsetzenden Klimas latenter Behindertenfeindlichkeit?“ fragt Neukamm in einer Stellungnahme zum Ende der UNO-Dekade. Der Auffassung „wer weniger leisten kann, ist auch weniger wert“ müsse energisch entgegengetreten werden.

Nach Ansicht des Diakonie- Präsidenten hat die UNO-Dekade dennoch insgesamt zu erheblichen Verbesserungen für Behinderte geführt. Durch den Ausbau von Rehabilitationseinrichtungen wie Werkstätten, Berufsbildungswerken und Wohnheimen habe sich das Hilfsangebot im vergangenen Jahrzehnt deutlich erhöht. Soziale Probleme von Behinderten hätten abgemildert und Vorurteile teilweise überwunden werden können, resümierte Neukamm das letzte Jahrzehnt.

Positiv sei auch der „nahezu einhellige Widerspruch“ gegen das sogenannte „Flensburger Urteil“ zu vermerken, in dem der Anblick von Behinderten als Beeinträchtigung des Urlaubs gewertet und den Klägern eine finanzielle Entschädigung zugesprochen worden sei.

Die zunehmenden Überfälle sind nach Auffassung des Geschäftsführers der Bundesarbeitsgemeinschaft Hilfe für Behinderte (Düsseldorf), Christoph Nachtigäller, Auswirkungen einer in jüngster Zeit häufiger anzutreffenden „Kosten-Nutzen-Analyse“ von Behinderten. Erstmals seit der Zeit des Nazi-Terrors werde wieder offen nach dem gesellschaftlichen „Wert oder Unwert“ von Behinderten gefragt. Nach der „ideologischen Absicherung“ durch Intellektuelle wie den australischen Ethiker Peter Singer fänden sich wie schon einmal wieder genügend verunsicherte und gewaltbereite junge Menschen, „die sich als Ausführende zur Verfügung stellen“.

Mehr Wachsamkeit sowie einen verstärkten Schutz des Staates vor Übergriffen verlangte auch die Bundesvereinigung Lebenshilfe für geistig Behinderte (Marburg). „Angst machen vor allem Mord- und Bombendrohungen gegen Schulen für behinderte Kinder. Menschen mit Behinderungen werden überfallen, gequält, sogar angezündet“, hieß es in einem offenen Brief der Bundesvorsitzenden Annemarie Griesinger an Bundeskanzler Helmut Kohl. Bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Behindertenverbände wachse die Angst vor Anschlägen.

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