piwik no script img

Traumatisierter BundeswehrsoldatDer Kriegszitterer

Siegfried Zepter, früherer Oberstleutnant, kam traumatisiert aus Bosnien zurück. Er prozessierte durch drei Instanzen gegen die Bundeswehr - und verlor.

Der SWR-Spielfilm "Willkommen zuhause" ist eine der ersten Produktionen, die sich des Themas traumatisierter Heimkehrer annehmen. Bild: swr/andreas böhmig

Niemand weiß, wer er in seinem früheren Leben war. Niemand weiß, was er gemacht hat. Er hat sich eine perfekte Fassadenexistenz aufgebaut. In einer neuen Stadt und mit einem neuen Beruf. Er hat sich ein Schild "Immobilien-Gutachter" vor das Haus gehängt, damit er endlich Ruhe hat. Ruhe vor allen Nachfragen. Ruhe vor seiner Vergangenheit.

Fast 13 Jahre ist es her, dass der frühere Oberstleutnant Siegfried Zepter* bei einem Auslandseinsatz zum "Kriegszitterer" wurde, wie er selbst sagt. "Kriegszitterer", so wurden schon im Ersten Weltkrieg die traumatisierten Soldaten genannt, die an dem litten, was heute posttraumatisches Belastungssyndrom (PTBS) heißt.

Jetzt erst hat er sich so weit stabilisiert, dass er darüber sprechen kann. Er ist stolz darauf, dass er wieder einigermaßen klarkommt im Leben, dass er wieder Geld verdienen kann. Siegfried Zepter, 54 Jahre alt, graue Haare, scharfe Falten, akkurater Anzug mit Krawatte, spricht schnell, manchmal abgehackt, als er seine Geschichte erzählt. "Ja, so ist das", sagt er ohne ein Lächeln, ohne spürbare Regung, wie eingefroren.

Zepter kommt aus einer kinderreichen Familie im Ruhrgebiet. Sein Vater, in der Nazizeit ebenfalls Soldat, kehrte nach achtjähriger Kriegsgefangenschaft mit kaputter Seele zurück. Vielleicht hätte er dem Sohn ein Kriegstrauma ersparen können, wenn er ihm von seinen Erlebnissen erzählt hätte. Der Sohn wollte zum Bund, um sich seine Ausbildung finanzieren zu lassen, wie er sagt. Er studierte Wirtschaftswissenschaft, wurde Berufssoldat und übernahm zunächst einen Bürojob in der Logistik. Im Jahr 1996 wurde er nach Bosnien abkommandiert.

Vorher habe er einen Trainingskurs in Hammelburg absolviert, dreieinhalb Wochen, "viel zu kurz", sagt er. Das Verhalten in extremen Belastungssituationen, denen man bei "13 Stunden Dienst sechs Tage in der Woche" ausgesetzt sei, lerne man dort allerdings nicht. Bei einer Übung zog er sich eine Ellbogenverletzung zu, bei der nächsten sollte er sich in Deckung werfen. Seine Kameraden schossen mit scharfer Munition, doch Zepter war unfähig, sich auf seinen frisch operierten Arm zu werfen, sein Körper gehorchte ihm nicht. Hinterher zitterte er wie verrückt, es ging ihm schlecht, aber er konnte das alles nicht einordnen.

Dann kam der Einsatz der Bundeswehr 1996 in Bosnien, ein Jahr nach dem Friedensabkommen von Dayton. Der habe nur stattgefunden, sagt er, "damit die Deutschen in der Nato mitreden können". Von Bosnien aus sei schon damals, "vor allem von den Franzosen", eine Nato-Intervention im Kosovo vorbereitet worden. Im kroatischen Split sollte er überprüfen, ob deutsche und französische Tanksysteme kompatibel waren. Sein Auto geriet in eine serbische Stellung. Die Serben entsicherten ihre Schusswaffen, und dann … Was weiter geschah, daran kann sich Zepter nur lückenhaft erinnern: "Ich hatte Todesangst, ich wollte alle erschießen. Hinterher bin ich total erschrocken, beinah hätte ich, der Familienvater, mich verhalten wie ein Killer." Später erfuhr er, dass der Fahrer Gas gegeben und die Sperre durchbrochen hatte.

Der Vorfall ließ das Trauma aus Hammelburg wieder aufleben: Das Zittern wurde immer schlimmer, er verspürte Fluchtbedürfnisse bei Dienstbesprechnungen. Er warf seinen Vorgesetzten vor, ihn ohne ausreichende Sicherung losgeschickt zu haben, und verweigerte den weiteren Einsatz. Er habe immer geglaubt, dass die Bundeswehr im Zweifelsfall für ihn sorgen würde, aber dann habe er das Gegenteil erfahren: "Die stießen Drohungen aus. Mein Chef sagte, er könne nicht mehr für meine Sicherheit sorgen." Nach einem Kuraufenthalt in Deutschland sollte er zurück nach Bosnien geschickt werden. Da sei er völlig zusammengebrochen.

Manchmal schob er ein bisschen Dienst, dann war er wieder krank. Die Ärzte im Landeskrankenhaus Essen und im Bundeswehrkrankenhaus Hamm waren bemüht, sagt er. Sie bescheinigten ihm eine chronische PTBS; vermutlich deshalb chronisch geworden, weil sie zu spät behandelt wurde. Das Max-Planck-Institut Köln bestätigte das Trauma mit Hirnstrommessungen. Ende 1998 wurde er frühpensioniert. Zunächst ausdrücklich wegen einer Wehrdienstbeschädigung durch PTBS.

Er brach alle sozialen Kontakte ab, wohnte anderthalb Jahre auf dem Campingplatz. Die Natur half ihm. Aber: "Mit dir hält man es nicht mehr aus", warf ihm seine Frau vor. Sie ließ sich scheiden und verlangte viel Geld, sagt er. Sein Bruder habe ihn entmündigen lassen wollen. "Erst als meine gesamte Existenz auf dem Spiel stand, begann ich wieder zu kämpfen", sagt er. Zuerst gegen seine Frau, dann gegen die Bundeswehrverwaltung, die sein Trauma nicht anerkennen wollte. Eine Anerkennung hätte seine Frührente um gut 200 Euro monatlich erhöht, "aber darum ging es denen gar nicht. Die sagen: Wir dürfen keine Präzedenzfälle schaffen. Sonst will jeder Soldat, der einen Schuss gehört hat, in Pension."

Er zog vor Gericht. In der ersten Instanz gewann er. Das Sozialgericht Dortmund urteilte 2003, die Depressionen und PTBS seien Folge einer Wehrdienstbeschädigung. Den Gutachten der Bundeswehrverwaltung, Zepter sei aufgrund einer "anlagebedingten Persönlichkeitsstruktur" erkrankt, folgten die Richter nicht, er habe schließlich gute Personalbeurteilungen erhalten. Für Zepter eine Genugtuung. Doch die Gegenseite legte Berufung ein. Diesmal kam der von der Bundeswehrverwaltung beauftragte Gutachter zu dem Schluss, der Kläger sei ein "Simulant". Der behandelnde Arzt empörte sich in einer Stellungnahme: "Offenbar wird hier inzwischen in unverantwortlicher Form eine Diagnosemanipulation durchgefühlt." Doch das Landessozialgericht glaubte 2005 der Bundeswehrverwaltung, Zepter verlor. Die anderen Soldaten seien während der Vorfälle in Hammelburg und Kroatien ja auch nicht traumatisiert worden, also müsse es an der Person des Klägers liegen, lautete die Begründung. Und dabei blieb es auch, denn die dritte Instanz lehnte die Klage aus formalen Gründen ab. "Damit war für die klar: Ich habe halt eine Macke", sagt Zepter.

Also versuchte er, sich selbst zu helfen. Eine Spezialtherapie, die bei Vietnamveteranen erprobt worden war, brachte Linderung. Ebenso mehrere lange Aufenthalte in einer ganzheitlich behandelnden Klinik in Kassel. Und schließlich der Umzug in die Anonymität, in eine andere Stadt, in ein neues Leben. Er hatte das Gerede von der "Psychomacke" satt.

"Für Männer", gibt er zu, "ist das sehr schwierig. Man will doch kein Weichei sein." Beim Militär müsse der Mann sich selbst im Griff haben, nur dann sei er in der Lage, andere zu führen. Wer eine Therapie nötig hat, der widerspreche dieser Norm. Den Soldaten im Auslandseinsatz werde vorgegaukelt, für sie werde gesorgt. "Sie müssen aber wissen, dass die Traumatisierungsgefahr bei etwa zehn Prozent liegt. Und dass dann oft nicht für sie gesorgt wird." Jeder Soldat müsse es sich vorher schriftlich geben lassen, was er bekomme, wenn sein Bein fehlt. "Jetzt in Afghanistan, wenn überhaupt Kampfauftrag, dann nur mit verdammt guter Vorbereitung, mit Drill und Stresstraining. Damit den Jungs nicht passiert, was mir passiert ist."

*Name geändert

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

8 Kommentare

 / 
  • GM
    Gabriele Mueller

    Seit fast 30 Jahren arbeite ich mit traumatisierten Frauen und Kindern. Seit 2006 haben wir in Ostbosnien auch begonnen, mit kriegstraumatisierten Veteranen zu arbeiten - Maennern, die sich diesen Krieg beileibe nicht ausgesucht hatten.

    Die Erfahrungen sind bisher sehr positiv, allerdings gibt es wenig Bereitschaft, diese Arbeit staatlicherseits zu finanzieren. Maenner sollen eben "Helden" sein und nicht traumatisiert.

    Wer sich fuer das Projekt interessiert:

     

    http://www.betterplace.org/projects/587

     

    Gabriele Mueller, Projektleitung SEKA, Gorazde, Bosnien-Herzegowina

  • BF
    B. Falter

    Für alle die sich gerne über ein Hilfsprojekt informieren möchten, das seit 1997 in Kroatien und nun Bosnien tätig ist, die können dies auf der

    der Hompage www.seka-hh.de.

  • S
    S.Hoffmann

    Die Schlagzeile könnte auch lauten: Jetzt auch deutsche Soldaten kriegstraumatisiert!

    Es ist schon seltsam,

    1) dass Kriegstraumata hierzulande ein Tabuthema sind, wo doch vor nicht allzu langer Zeit fast die ganze Bevölkerung traumatisiert war - und manche Menschen es noch heute sind.

    2) dass unser Verteidigungsminister auf die Verdreifachung der (offziell bekannten) Fälle von PTBS nur stotternd reagieren kann: "Im Vergleich zu anderen Ländern sieht es bei uns noch ganz vernünftig aus." Vernünftig? Die Wortwahl lässt seine Einstellung zu psychischen Erkrankungen gut erkennen.

    3) dass es erst einen TV-Spielfilm geben muss, damit die Medien das Thema überhaupt aufgreifen.

    4) dass damit aber der Blick noch nicht über den Tellerrand reicht: Natürlich ist es dramatisch, dass deutsche Soldaten diesen Belastungen ausgesetzt werden. Und sie müssen Hilfe von höchster Stelle bekommen.

    Aber wieviele Millionen Menschen sind täglich der Todesangst ausgesetzt und leiden unter Traumata? Wie entwickeln sich Gesellschaften, in denen jeder einzelne traumatisiert ist? Welche Zukunftschancen haben Kinder, die nie Frieden kennen lernen?

    Die deutschen Medien sollten das Verhältnis wahren und im Zusammenhang mit dem Thema Trauma auch anderen wichtigen Fragen nachgehen. Es ist doch wirklich eine gute Gelegenheit.

  • V
    vic

    Wer sich auch noch freiwillig zur Armee meldet, ist für die Konsequenzen selbst verantwortlich.

    Niemand wurde dazu gezwungen. Ich kämpfe nicht für´s "Vaterland", und ich will auch nicht, dass es sonst jemand tut.

    Sagt NEIN. So einfach ist das.

  • R
    rob

    gut dasss der mann die kraft hat sich durchzubeissen. meine hochachtung.

  • JK
    Juergen Kluth

    Dann ist das gar kein Adventure Urlaub?

    Und auch nicht Level 3 der Holo-Suit-Version von "Silent Enemy"?

     

    Oder findet Level 3 hier, zu Hause statt.

     

    Vielleicht hat Verteidigungsminister Jung ja auch Traumata - oder er spielt nur die Offline Version des Spiels.

  • T
    Timm

    Warriors, BBC

  • C
    Claudia

    Als der Film am Montag Abend ausgestrahlt wurde hatte ich mehrmals Gänsehaut ohne Ende. Ich fand ihn absolut realitätsnah, der Hauptdarsteller hat die Emotionen so glaubwürdig rüber gebracht, wow. Und nun dieser Tatsachen-Bericht hier... 1982 komponierte und textete ich bereits: I want peace for the whole world, we want peace for the whole world, saying no, no to rearmament. Wie kann es Krieg geben, wo wir doch alle uns nach Frieden sehnen. Haben wir nicht von allem auch genug für alle Menschen? Bin ich zu naiv? Zu optimistisch denkend?