Traumatisierte Flüchtlinge in Bremen: Warten auf die Therapie
Flüchtlinge sollen psychologisch besser betreut werden. Doch Bremen fehlt es weiterhin an Geld, TherapeutInnen und DolmetscherInnen.
Damit reagiert Bremen auf den steigenden Bedarf an psychotherapeutischen Angeboten. Es sei „möglich, dass bis zu 40 Prozent der Flüchtlinge Anzeichen einer Posttraumatischen Belastungsstörung aufweisen“, heißt es im kürzlich vorgestellten Integrationskonzept. Viele ExpertInnen gehen davon aus, dass weit mehr als die Hälfte belastet sind. Die Anzeichen dafür sind nicht immer zu erkennen, weil die Betroffenen in der von vielen Unsicherheiten geprägten Ankunftszeit die Erlebnisse verdrängen müssen.
40 Prozent der Flüchtlinge, das sind über 4.000 Personen, die Bremen allein 2015 aufgenommen hat. Weil Kinder und Jugendliche stärker gefährdet sind als Erwachsene, soll auch die Kinder- und Jugendpsychiatrische Beratungsstelle des Gesundheitsamts finanziell besser ausgestattet werden sowie dessen Ambulanz für junge Menschen mit Suchtproblemen. Wie viel Geld das sein wird, ist offen.
Nur ein Bruchteil der Traumatisierten kann betreut werden
2015 hatte Refugio 334 Personen betreut, 2014 waren es 277. Wegen der steigenden Flüchtlingszahlen und des steigenden Bedarfes wird sich an den Wartezeiten nichts ändern. Zwei Mal im Jahr gibt es die Möglichkeit, sich bei Refugio anzumelden. Danach müssten die meisten drei bis sechs Monate warten, bis sie eine Therapie beginnen können, sagte Marc Millies, Sprecher von Refugio. Im schlimmsten Fall beträgt die Wartezeit ein Jahr. Voll finanziert sei das Behandlungszentrum noch lange nicht, sagt Millies: „Bisher haben die Zuschüsse 20 Prozent unserer Kosten abgedeckt, jetzt sind es etwas mehr.“
Zudem würden die Krankenkassen viele Angebote wie Kunst- und Bewegungstherapie nicht zahlen. Und auch eine Psychotherapie zahlen die Kassen AsylbewerberInnen erst 15 Monate nach ihrer Registrierung – auf die viele derzeit monatelang warten müssen. Refugio behandelt deshalb auch umsonst.
Nicht erstattet von den Kassen werden Dolmetscherkosten – deshalb werde Bremen dafür Geld zur Verfügung stellen, sagte das Gesundheitsressort. TherapeutInnen, die in Bremen Flüchtlinge behandeln, zahlen derzeit die Übersetzungskosten selbst, kritisiert Karl-Heinz Schrömgens, Präsident der Psychotherapeutenkammer.
Mangel an unabhängigen ÜbersetzerInnen
Seit vergangenem Jahr können seine KollegInnen nicht mehr auf den Dolmetscherpool zurückgreifen, der im Gesundheitsamt für solche Zwecke aufgebaut wurde. Der Grund: Die Performa Nord, ein Eigenbetrieb des Landes, der den Pool verwaltet, macht keine Verträge mit Freiberuflern. „Wir kennen das Problem und arbeiten an einer Lösung“, sagte die Sprecherin der Gesundheitssenatorin.
Bisher würden aus Mangel an DolmetscherInnen oft Familienangehörige übersetzen, was die Therapie behindere, da die KlientInnen entweder Erlebtes verschweigen oder die ÜbersetzerInnen etwas nicht aussprechen wollen, wie eine Vergewaltigung. Daher arbeitet Refugio grundsätzlich mit eigenen DolmetscherInnen, die zudem extra geschult werden und Supervision bekommen. Besonders schwierig sei es, ÜbersetzerInnen für ostafrikanische Sprachen zu finden, sagt Millies.
Mangel herrscht auch an TherapeutInnen, die Flüchtlinge behandeln, ganz besonders an MuttersprachlerInnen. „Wir haben im vergangenen Jahr noch einige gefunden, die jetzt ein paar KlientInnen aufgenommen haben“, sagte Millies. Dabei gibt es ausgebildete TherapeutInnen, die in Bremen keine Zulassung für die Abrechnung mit den Krankenkassen bekommen, weil es nach Ansicht der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) in Bremen zu viele PsychotherapeutInnen gibt. Die KV könnte aber Ausnahmen ermöglichen. Vier entsprechende Anträge seien eingegangen, bestätigt ein KV-Sprecher.
Refugio: Akute Krisen wären vermeidbar
Beim sozialpsychiatrischen Dienst des Gesundheitsamts melde sich täglich ein Flüchtling in einer akuten Krise, sagt die Sprecherin des Ressorts. „Früher waren es ein bis zwei in der Woche.“
Viele dieser Krisen, die in Suizidversuchen enden können, ließen sich vermeiden, sagt Millies. „Wenn 40 Prozent Anzeichen erkennen lassen, heißt das ja nicht, dass alle erkranken müssen und der Zustand chronisch wird.“ Um dies zu vermeiden, sei eine rasche Versorgung wichtig. „Manchmal reicht schon ein Gespräch mit Fachleuten, in dem die Betroffenen verstehen, was mit ihnen los ist, woher ihre Beschwerden kommen.“ Denn so furchtbar die Erfahrungen auf der Flucht oder im Herkunftsland auch gewesen sein mögen: Nicht immer führten diese zu schweren Traumatisierungen, die nur mühsam und langwierig zu behandeln sind, sagt Millies.
Kinder und Jugendliche haben die Fähigkeiten, etwas zu verarbeiten und gesund zu bleiben häufig noch nicht ausgebildet und sind viel stärker gefährdet als Erwachsene. Dies gilt umso mehr, wenn sie ohne Familie hier sind und auf sich gestellt. „Wenn dann jemand auch noch provisorisch in einem Zelt lebt und es keinen Platz in einer Schule für ihn gibt, ist es kein Wunder, wenn er krank wird“, sagt Millies.
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