Trauer um Ursel Sieber : Engagierte Kritikerin des Gesundheitssystems
Die Fernseh-Journalistin und ehemalige taz-Redakteurin ist nach langer, schwerer Krankheit verstorben.
Aus der taz, 06.12.2023 | Es waren wohl einige Zipperlein und Krankheiten um den Tisch in der taz-Kantine versammelt, als sich im August 2023 rund ein Dutzend alt gewordene taz-Ehemalige trafen. Doch nur Ursel Sieber traute sich, offen über ihre Krebserkrankung zu reden.
Die war zum ständigen Begleiter ihrer Jahre geworden: Mal ging es aufwärts, dann wieder abwärts. Man merkte ihr die Anstrengung dieser Art von Leben an, aber den Apfelkuchen ließ sie sich trotzdem munden.
Sie gehörte zu den „Frühengagierten“
Ursel Sieber, geboren 1957 im süddeutschen Schorndorf, gehörte nicht direkt zur Gründergeneration der taz, wohl aber zu den „Frühengagierten“. Sie begann 1984 als Redakteurin in Berlin, zwischen 1987 und 1990 war sie Parlamentskorrespondentin in Bonn.
Danach stieg sie in den Fernseh-Journalismus um und wurde Autorin für Monitor und Kontraste. Das Gesundheitssystem war ein Schwerpunkt ihrer Reportagen. 2015 etwa berichtete sie unter dem Titel „Spagat zwischen Profit und Moral“ über junge Ärzte, die „übermüdet, überfordert, ausgelaugt“ von gewinnorientierten Kliniken ausgebeutet werden.
Sie schrieb zudem mehrere Bücher, darunter 2010 „Gesunder Zweifel“ und 2013 „Enteignet“, letzteres zusammen mit Sonia Mikich. In beiden Werken ging es um das krankmachende Gesundheitssystem.
„Gesunder Zweifel“ am Gesundheitssystem
„Gesunder Zweifel“ beschäftigt sich mit den Hintergründen der Entlassung von Peter Sawicki, der das „Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit“ geleitet hatte.
2004 war es von der rot-grünen Bundesregierung gegründet worden, um Kosten und Nutzen von Medikamenten unabhängig zu bewerten. Ursel Sieber beschrieb, wie die Pharmalobby alles tat, um Sawicki zu diskreditieren.
„Er und auch das Institut sind ja über Jahre hinweg sehr scharf angegriffen worden, die Pharmaindustrie hat eigentlich nach dem dritten Monat angefangen zu eruieren, wie kann man ihm ans Zeug flicken, hat Briefe geschrieben, war im Kanzleramt, beim Bundesministerium“, berichtete sie in einem Radiointerview.
Otto-Brenner-Preisträgerin seit 2011
Für das Buch bekam die engagierte, gründlich recherchierende 2011 den renommierten Otto-Brenner-Preis.
Ursel Sieber beschäftigte sich auch mit anderen Themen, mit der Bundespolitik, mit Feminismus, Mutterschaft oder Migration. Doch das Thema Gesundheit und Krankheit blieb auf tragische Weise zentral in ihrem Leben.
Am 30. November ist sie ihrem langjährigen Krebsleiden erlegen. Unser Mitgefühl gilt ihrer Familie und ihren Kindern.