Trash-Papst John Waters: „Hacker haben nie Sex“
Der Kultregisseur kommt nach Deutschland. Die taz spricht mit John Waters über ekligen Geschmack und den Orgasmus beim Kampf gegen die Mächtigen.
taz: Herr Waters, wenn Zeitungen und Fernsehsender über Sie berichten, bezeichnen die Sie als Papst des Trash. Nervt Sie das?
John Waters: Jeden Tag werfe ich mein lilafarbenes Cape um, justiere meine kaiserliche Krone, nehme mein Zepter und regiere die Welt.
Sonderlich sympathisch scheint Ihnen Ihr Reich nicht zu sein. „Filthy World“ – „Dreckige Welt“ heißt Ihre Show, mit der Sie in Deutschland touren.
Das ist eine 70-minütige Spoken-Word-Show. Ich rede über alles: Filme, Kriminalität, über meine alternativen Karrieren, wie ich zum Beispiel eine dritte Klasse unterrichtet habe und mit ihnen einen Flugzeugabsturz improvisiert habe, während ihre Eltern zuschauten. Im Endeffekt gebe ich Ratschläge für verrückte Leute, die glücklich sind. Meine Fans und mein Publikum waren das immer. Menschen, die nirgendwo reinpassen, die eigentlich nicht mal in ihrer eigenen marginalisierten Gruppen zu Recht kommen.
Was mögen die an Ihnen?
Ich habe immer daran geglaubt, das System zu sprengen, es zu ergreifen und für den eigenen Vorteil zu nutzen. Ich denke, ich habe das auf eine gute Art gemacht. Aber ich kann Ihnen auch viele Leute nennen, die meine Arbeit nicht mögen. Am Anfang hatte ich gar keine guten Rezensionen. Ich habe meine ganze Karriere auf negativen Rezensionen aufgebaut. Allerdings habe ich nie Filme gemacht, um die Kritiker zu verärgern. Ich wollte Menschen zum Lachen bringen und sie bewegen, Dinge anders zu sehen. Seit 2004 habe ich allerdings keinen Film mehr gemacht, und weiß auch nicht, ob ich je wieder einen drehen werde.
Warum haben Sie so lange nicht mehr gedreht?
Weil mir keiner das Geld gegeben hat. Das Filmgeschäft hat sich sehr verändert. Ich habe keine Interesse an Eine-Million-Dollar-Filmen. Ich sehe diese Filme nicht. Wenn Sie sich die Liste meiner zehn besten Filme anschauen, sind das alles depressive, französische Filme. Mein Geschmack war nie so eklig, wie Leute das immer annahmen. Aber der Begriff „Bad Taste“ funktioniert heute auch nicht mehr, weil Hollywood ihn vereinnahmt hat. Am Anfang kann jedes Genre, das sich gegen Hollywood richtet, für sich überleben. Aber nach kurzer Zeit bespielt Hollywood diese Genres.
Klingt hoffnungslos.
Nein, ich glaube an das Gute. Zum Glück habe ich verschiedene Karrieren. Ich habe keine Hobbies, aber ich habe viele Wege, um Geschichten zu erzählen. Ich lebe, um Geschichten zu erzählen.
geboren am 22. April 1946 in Baltimore, ist Regisseur, Autor, Künstler. William S. Burroughs nannte ihn „Pope of Trash“ drehte er „Pink Flamingos“, bekam dafür fast nur schlechte Kritiken und wurde zur Kultfigur. Weitere Filme: „Hairspray“ (1988), „Serial Mom“ (1994) und „A Dirty Shame“ (2005). Waters veröffentlichte 2010 sein Buch „Role Models“, im Juni erscheint „Carsick“.
Mit der Spoken-Word-Show „The Filthy World“ tourt Waters zum ersten Mal in Deutschland. Am 7. 2. Köln, Schauspiel, am 9. 2. Berlin, Volksbühne und am 10. 2. Hamburg, Kampnagel. Am 7. 2. beginnt seine Ausstellung „Bad Directors Chair“ in Berlin.
Es gibt also noch einen Platz für subversive Kunst?
Klar. Es gibt exzessive, ausgelassene, teilweise überdrehte Filme wie zum Beispiel „Spring Breakers“. Und genau solche Filme zu machen, ist die Pflicht junger Leute. Das erschreckende ist aber, dass viele junge Menschen diese Filme gar nicht mehr sehen wollen. Das hat sich verändert.
War das früher wirklich anders?
Ja. Aber trotzdem haben junge Leute genau so viel Spaß wie wir früher. Der Unterscheid ist nur: Heute hacken sie sich von ihren Computer aus in Firmen ein – so ist man heutzutage ein jugendlicher Delinquent. Wäre ich ein Teenager, würde ich auch ein Hacker sein wollen. Aber Hacker haben nie Sex. Sie scheinen immer sexuelle Probleme zu haben. Man verlässt ja nie sein Schlafzimmer. Wahrscheinlich masturbieren sie viel. Vielleicht sind sie Wichs-Königinnen.
Wenn also Hacker subversiv … … vielleicht crashen sie die Regierungsseiten während sie kommen. Ich kann das verstehen.
Aber zugleich, so mein Eindruck, entdeckt zumindest die junge queere Generation die alten Zeiten wieder. Regisseure wie Pier Paolo Pasolini werden wieder wichtig, der französische Autor Jean Genet auch.
Ich bin nicht sicher, ob junge Menschen in Baltimore über Pasolini reden würden. Vielleicht ist das in Deutschland anders, aber die Europäer hatten schon immer mehr Respekt gegenüber intellektuellen Vorbildern. Ich habe Jean Genet und Pasolini als Jugendlicher gelesen – und sie haben mein Leben gerettet. Vorbilder sind immer Menschen, die man in seiner Jugend entdeckt hat, weil sie eben das eigene Leben verändern und dir Beispiele geben, warum es wichtig ist, etwas zu riskieren.
Wer könnte heute so ein Vorbild sein?
Ich bin sicher, dass Julian Assange für einige ein Vorbild ist. Aber auch jemand wie der Schriftsteller Jonathan Franzen, der „Die Korrekturen“ geschrieben hat. Dennis Cooper ist seit Ewigkeiten schon eins, weil er Menschen als Autor und Performancekünstler überrascht und auf eine intellektuelle Art und Weise erschreckt. Jemand ganz Neues? Komme ich gerade nicht drauf. Vielleicht denken die Jungen aber auch: Alte Hühner machen eine gute Suppe.
Wären die Regisseure der neuen Welle des queeren Kinos gute Vorbilder, wie Andrew Haigh oder Travis Mathews? Zum Beispiel, weil beide die sexuelle Identität nicht zum zentralen Thema machen. Die Figuren sind einfach homosexuell, das wird nicht problematisiert.
Verändern diese Filme tatsächlich das Leben junger homosexueller Menschen? Ich bezweifle das. Außerdem wollen junge Menschen nicht nur als homosexuelle Regisseure bekannt sein. Das wollte ich auch nicht. Man gettofiziert sich selbst. Ich will meine Bücher zum Beispiel nicht in der Gay-Abteilung haben. Ich will zu den Bestsellern. Ich bin gegen Separatismus.
Sie sind gegen Separatismus? Dabei sind Sie doch derjenige, der gesagt hat, es sei problematisch, wenn die queere Kultur Mainstream wird.
Es ist nicht problematisch. Es ist gesund. Ich habe mich mit dem Bürgermeister in Maryland engagiert, die Öffnung der Ehe voranzutreiben. Was Sie meinen ist, dass ich beispielsweise nicht heiraten möchte. Ich hasse Hochzeiten. Ich hatte noch nie Spaß auf einer.
Was viele junge schwule Männer auch an der Vergangenheit fasziniert, sind die Pornostars und deren Filme aus den 70ern und 80ern. Waren die Pornos damals besser?
Ich schaue sehr gerne die alten Filme. Aber ich hatte letztens Besuch und der sagte: Ich hasse deine Pornos, dort sind alle behaart. Also ist es nicht immer wahr, dass die Jungen die alten Stars mögen. Aber es stimmt schon, insgesamt sind Haare wieder zurück. Ich rede auch in meiner Show viel über den Schamhaar-Generations-Gap in dem wir gerade in Amerika leben.
Sie haben einmal eine feministische Kritikerin zitiert, für die Hetero-Pornos etwas mit Hass zu tun haben. Was unterscheidet homosexuelle und heterosexuelle Pornografie?
Bei Schwulen-Pornos fühlt sich das so an, als ob beide Parteien ganz dabei wären. In manchen Heteropornos sieht es aber so aus, als ob die Frau dabei wäre, man sich aber über ihre mentale Verfassung Sorgen machen müsste. Aber eigentlich teile ich nie die feministische Meinung bezüglich Pornografie. Ich bin ein Freund der Pornografie. Ich schaue sie ja auch. Überhaupt sollten alle Menschen in der Kunst Freunde der Pornografie sein. Denn gerade in der Pornobranche haben sie das Geld, um Anwälte zu bezahlen, die gegen Zensurgesetze kämpfen, die auch gegen andere Künstler gerichtet werden könnten.
Homosexuelle Pornos sind also die besseren?
Nicht unbedingt. Ein Gangbang mit fünfzig Männern und einer Frau, das will ich nicht sehen. Aber ich muss gestehen, ich möchte auch nicht im Schwulen-Porno oder überhaupt in Pornos Bareback-Sexszenen sehen, also Analsex ohne Kondom. Das ist für mich ein Snuff-Film.
Das ist harsch.
Mag sein, aber sich so etwas anzuschauen, heißt sich potenziellen Mord anzuschauen. Heute habe ich gelesen, dass sie nun die Kondome digital aus dem Pornos entfernen.
Im Idealfall werden Bareback-Szenen von Erwachsenen dargestellt – mit der Zustimmung aller. Was ist daran schlimm?
Die haben das Recht das zu tun, aber für mich persönlich … Ich bin einfach gegen das Barebacking. Ich kenne 20-Jährige die HIV-positiv sind und sie sollten es besser wissen.
Argumentieren Sie vielleicht so …
… weil die Hälfte meiner Freunde an AIDS starb. Ja, bestimmt.
Heute ist das Thema HIV nicht mehr so omnipräsent wie früher. Stört Sie das?
Sie reden nicht mehr drüber, aber Leute bekommen es eben trotzdem. Und natürlich ist es heute besser, weil alle denken es gibt doch Pillen. Aber will man zwanzig Pillen oder halt auch nur eine jeden Tag nehmen müssen, die unglaubliche Nebenwirkungen haben? Man will das nicht, glauben Sie mir. Wenn man in einer Sexbar ist, Alkohol trinkt und Bareback-Pornos laufen, ermutigt das zum ungeschützten Sex.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag