Transportfahrrad zum Selberbauen: Das Selbstbau-Fortschrittsgefährt
Sie sind praktisch beim Einkaufen und Transport von Kindern: Transportfahrräder. Mit einer Anleitung kann sich jeder eins selber bauen. Ein Selbstversuch.
HAMBURG taz | Vor ein paar Wochen habe ich im Hamburger Gängeviertel eine Entdeckung gemacht: ein dreirädriges Transportrad, hinten eins, vorne zwei Räder, mit einem rechtwinkligen Aluminium-Gestell und einer auf der Vorderachse montierten Tragefläche.
„Das ist ein Prototyp“, erklärte mir Till Wolfer, der in der Nähe stand. Neben dem schlichten Lastenrad stand ein weiteres Modell, die Liegeradvariante. Der Designer, Künstler und Aktivist sagte, dass die beiden Räder hier vor allem zum Einkaufen genutzt werden, aber auch, um Werkzeug in der Stadt hin und her zu fahren.
Das Rad, das er zusammen mit dem dänischen Designkollektiv N55 konzipiert hat, ist ein „Open Source“-Modell. Denn die Anleitung, nach der sich jeder selbst ein Lastenrad bauen kann, steht im Internet zur freien Verfügung.
Ab dem 4. und 5. August und an den folgenden zwei Wochenenden bauen die drei Hamburger Initiativen Gartendeck, Keimzelle und St. Pauli Fablab im Gängeviertel in den Kutscherhäusern Lastenräder.
Hinter dem Projekt mit dem Namen „XYZ Spaceframe-Lastenrad“ verbirgt sich aber noch mehr als ein praktisches Transportmittel, die Designgruppe versteht es auch als eine Absage an die auto-dominierte Stadt. Das Rad ist so bemessen, dass es mit seinen 92 Zentimetern Breite gerade nicht mehr auf die zwei Zentimeter schmaleren Radwege passt. So lastenradelt man also auf der Straße.
Lastenräder sind immer noch exotisch
Lastenräder kommen immer noch ein wenig exotisch daher, obwohl man sie in größeren Städten immer häufiger sieht. In Hamburg begegnet man hin und wieder einem der dänischen Christiania-Bikes, den Transport- und Lastenfahrrädern, die die Kopenhagener Kommune seit 30 Jahren bauen lässt.
Die sind mit rund 1.300 Euro für die Grundausstattung aber immer noch recht teuer, obwohl sie längst nicht mehr nur in der Kopenhagener Kommune produziert werden. Andere Modelle kosten schnell mehr als 2.000 Euro. Aber mit handelsüblichen Fahrrädern lässt sich eben nicht gerade viel transportieren.
Eigentlich habe ich oft genug zu viel geschleppt. Für schwere Einkäufe, Getränkekisten – oder um endlich mal meine kaputten Lautsprecher zur Reparatur zu bringen kann ich so ein Transportgefährt bestens gebrauchen. Ich möchte mir auch so ein Rad bauen.
Ein wenig skeptisch bin ich aber noch. Ob Bau und Montage denn wirklich so einfach sind? Ich erkundige mich erst mal beim Fachmann, wie lange das denn wohl dauert. Eine unerfahrene Fahrradbauerin, wie ich eine bin, sollte etwa sechs Tage einplanen, schätzt Wolfer.
Der Profi baut das Rad in zwei Tagen
Er selbst hat es mittlerweile auf zwei Tage gebracht. Um sicher zu gehen, dass ich mit meinem Bauversuch nicht auf halber Strecke verende, entschließe ich mich, ihn zunächst in seiner Fahrradwerkstatt zu besuchen und beim Bau zuzuschauen.
In der Werkstatt liegen die Teile schon parat: etwa 20 Meter Aluminium-Rohre, rund 150 Schrauben und Muttern und Kunststoff-Unterlegscheiben. Alle für den Rahmen erforderlichen Teile sind im Baumarkt erhältlich. Das Augenmerk liegt darauf, erklärt Wolfer, nur gut erhältliche Standardteile zu verwenden. Das Aluminium kostet 2,50 Euro pro Meter, der Rahmen ohne Räder 160 Euro. Die Fahrradausstattung – Räder, Tretlager, Pedale und Fahrradlichter – lässt sich von Alträdern abbauen. Mit 350 Euro Materialkosten sind die Räder zum Selberbauen vergleichsweise billig.
Die Rohre hat Wolfer bereits mit einer Säge zugeschnitten. Ein fertig montiertes Rad steht auf dem Tisch. Für die Montage genügen einfache Werkzeuge: Standbohrmaschine, Akkuschrauber, Schraubenschlüssel.
Um den Rahmen zu bauen, werden die Aluminium-Rohre in verschiedenen Längen zugeschnitten und Löcher hineingebohrt, damit die Rahmen mit Edelstahlschrauben, Unterlegscheiben und Muttern montiert werden können. Um zu vermeiden, dass sich in den Rohren Schmutz ansammelt, werden sie später mit einer Kappe verschlossen.
Eine Verbindung wie bei Panzersperren
Damit die Verbindungen zwischen den Alu-Zuschnitten stabil sind, schraubt Wolfer die Rohre so aneinander, dass sie sich gegenseitig stützen. Mit einem Akkuschrauber und einem Schraubenschlüssel schraubt er die Alu-Teile zu einer Verbindung zusammen. Die ist „selbstversteifend“, sagt Wolfer.
Eine Form ergibt einen „tschechischen Igel“, eine Verbindung, die auch im Militär bei Panzersperren gebräuchlich ist. Damit gewinnt der ganze Rahmen durch die Knotenpunkte zusätzlich an Stabilität. Das ist wichtig, weil die Stangen allein das Rad nicht lange tragen würden. Mit den Aluminium-Rohren ist die rechtwinklige Konstruktion relativ leicht und witterungsbeständig.
Bei seinem Prototyp hat Wolfer nicht gerade an den Bauteilen gespart. Er fährt auf BMX-Rädern, damit die Räder nicht gleich zusammenklappen, sobald zwei Leute vorne auf der Tragefläche sitzen.
Die Konstruktion ist belastbar genug, um rund 150 Kilo zu transportieren und die Ladefläche ist in ihrer Funktion wandelbar. Es gibt also nicht nur eine einzige mögliche Form. Tauscht man die vier Profile an den Ecken aus, hat man eine andere Form, ohne dass man ein neues Rad braucht. Die Tragfläche kann so zum Beispiel ein Marktstand sein, eine geschlossene Kiste oder auch ein offener Sitzkasten für Kinder.
Leicht ist das Fahrrad nicht
Für meine Testfahrt müssen wir das schon fertige Lastenrad von Wolfer aus dem Fenster der Werkstatt heben. Ganz leicht ist das nicht, wir tragen es zu viert. Ich schiebe das extrabreite Rad auf die Straße. Dann steige ich auf und fahre ein Stück. Noch sitze ich etwas steif auf dem Sattel. Vor allem an den Wendekreis muss ich mich zunächst gewöhnen.
Um umzudrehen steige ich ab, hebe es an der hinteren Achse an, drehe es und bringe es in Position, bevor ich zurückradele. Bei der zweiten Runde werde ich schon etwas entspannter. Der Test ist bestanden.
Bauen aber würde ich es lieber nicht allein. Vielleicht finde ich ja noch jemanden, der sich meinem Vorhaben anschließt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid
Berliner Sparliste
Erhöht doch die Einnahmen!
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis