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■ Transplantationsgesetz: Wann der Tod beginnt, darf nicht von Nutzerwägungen und medizinischem Kalkül abhängenDer Körper, nur ein materieller Wert?

Seit über zwei Jahrzehnten werden in Deutschland Organverpflanzungen beim Menschen vorgenommen, ohne daß es dafür eine allgemein verbindliche rechtliche Regelung gibt. Bislang wurde der „Hirntod“ als neues Kriterium von der Transplantationsmedizin gesetzt, ohne die gesellschaftlichen, medizinethischen und verfassungsrechtlichen Fragen, die damit verbunden sind, zu beachten. Da es sich um existentielle Fragen im Grenzbereich zwischen Leben und Tod handelt, war für die Bündnisgrünen eine rechtliche Regelung notwendig. So sollen die Schutzinteressen der Spendenden und die gesundheitlichen Belange der Empfangenden gleichermaßen gewürdigt werden.

Zentral ist die Frage, ob ein Mensch, dessen meßbare Hirnfunktionen unwiderruflich erloschen sind, schon ein toter oder noch ein lebender Mensch ist. Nur dieser spezifische Zustand ist für die Entnahme durchbluteter Organe geeignet. Die Kontroverse über das „Hirntodkonzept“ zeigt, wie sensibel dieses Thema ist. Es eignet sich grundsätzlich nicht für populistische Abhandlungen über das wahrhaft altruistische oder das egoistische Leben, wie sie Harry Kunz kürzlich in der taz ausbreitete. Die Antwort auf die Frage, wann der Mensch tot ist, kann nicht beliebig sein. Sie ist keine Ansichtssache und darf schon gar nicht zweckgebunden debattiert werden.

Es geht um die Frage, ob, wegen neuer Möglichkeiten der Medizin, das traditionelle Verständnis von Tod geopfert werden wird, oder ob es möglich ist, die Transplantationsmedizin in den allgemeinen Wertekontext einzubinden. Dies ist von weitreichender Bedeutung für Zivilität und Humanität dieser Gesellschaft. Es wäre fatal, die Bewertung von Leben und Tod Nützlichkeitserwägungen zu unterwerfen.

Was Harry Kunz zu den ethischen und kulturellen Dimensionen des Themas schreibt, wäre, wenn es auf den Wust von allerlei Gemeinsinn-Eigensinn-Zeitgeist- Denkerei beschränkt geblieben wäre, nur ein intellektuelles Ärgernis gewesen. Er gipfelte aber in dem infamen Vorwurf, Grüne nähmen aus Prinzipienreiterei „den Tod von Menschen in Kauf“. Den Bündnisgrünen bittersten Zynismus vorzuwerfen, wenn sie sich, um prinzipielle Werte zu schützen, nicht bedingungslos auf die Seite derer schlagen, deren Leid in den Medien am meisten Beachtung findet, ist dreist. Kunz plädiert letztlich für eine Gebrauchsethik, die mit der Ethik des Grundgesetzes unvereinbar ist.

Bioethikern ist die grundgesetzlich geschützte menschliche Würde nicht viel wert. Sie sind der Überzeugung, daß, wer für das „volle Leben“ in der Gemeinschaft nicht mehr taugt, sich „im Tod für andere“ nützlich machen soll. Von Tod kann aber im explantationsgeeigneten Zustand des irreversiblen Hirnversagens nicht die Rede sein. In diesem Zustand ist die Haut noch gut durchblutet, das Herz schlägt, die Lunge atmet: Der Körper lebt. Das Hirnversagen ist eine Phase im unumkehrbar gewordenen Sterbeprozeß. Weil das Sterben eine rein persönliche, unveräußerliche Angelegenheit ist, für die es keine Stellvertretung geben kann, treten die Bündnisgrünen dafür ein, daß nur die betroffene Person selbst über die Organspende entscheiden kann. Und nicht Angehörige und Verwandte.

Es ist nun, wie Kunz vorschlägt, unseriös und inhuman, mit allen Mitteln eine erhöhte Spendebereitschaft bewirken zu wollen. Die Menschen müssen persönlich entscheiden, und sie müssen darüber aufgeklärt werden, was im Fall einer Organentnahme mit ihnen geschieht. „Hirntote“ sind Sterbende. Sie haben Anspruch auf Schutz und Solidarität bis zuletzt.

Praktische Ethiker lehnen solche letzten Werte ab und binden personales Leben an kognitive Qualitätsmerkmale. Sie stellen die universelle Gültigkeit der Menschenrechte und die individuelle Menschenwürde zugunsten eines postulierten „guten Zweckes“ zur Disposition. Das reduktionistische, hirnorganische Menschenbild paßt in ihr Konzept.

Verliert der Mensch seine Hirnfunktion, verliert er seine Würde – es bleibt sein materieller Wert. Das ist der konkrete Utilitarismus in einem, bei Harry Kunz, diffusen Kommunitarismuskonzept. Die Argumentationsverwandtschaft zwischen Bioethikern und dem Bundesgesundheitsminister ist auffallend. Hat, wer im Namen der Solidarität die Selbstbestimmung als Egoismus geißelt, nicht die Prämissen grundsätzlich verwechselt, von denen Zivilität und Humanität geleitet sind? Weil die Selbstbestimmung ein konstitutives Freiheitselement in einer zivilen, bürgerrechtlichen Gesellschaft ist, kann die individuelle Spendebereitschaft nur eine freie Entscheidung sein. Es ist eine Entscheidung in einem ureigenen Bereich, in dem es keine letzten Gewißheiten gibt. Deshalb muß der Gesetzgeber sich jedweder Beeinflussung auf die Entscheidung des/der einzelnen enthalten und darf hier nicht noch so starken Partikularinteressen dienen.

Es ist eine weitverbreitete, doch irrige Annahme, daß die Diskrepanz zwischen „geringem Angebot“ und „wachsender Nachfrage“ nach menschlichen Organen prinzipiell lösbar wäre. Niemand kann sich wünschen, daß mehr als 5.000 von 900.000 Toten im Jahr einen explantationsgeeigneten Tod (zum Beispiel Unfalltod) sterben müssen. Da die Transplantationsmedizin nur eine begrenzte medizinische Lösung darstellt, liegt es im eminenten Interesse schwer organkranker Menschen, daß Forschungsressourcen nicht einseitig an diese Therapie gebunden werden. Das ist Verantwortung und Auftrag der Gesundheitspolitik.

Ein Recht auf Organe anderer Menschen kann es nicht geben. Der Anspruch auf Hilfe endet an der Fremdleibigkeit des/der anderen. Wer aber die unveräußerlichen Persönlichkeitsrechte im Konfliktfall aufgibt und Menschenrechte für relativierbar hält – disponibel je nach steigenden oder fallenden Lebenschancen ihrer TrägerInnen –, der gesteht einer elitären Gruppe die Definitionsmacht über letzte Fragen zu.

Rechtssicherheit gibt es in Zukunft nur, wenn keine neue, von den Erfordernissen der Transplantationsmedizin diktierte Definition des Todes durchgesetzt wird. Die Organspende muß auch weiterhin auf der unveräußerlichen Selbstbestimmung des Menschen beruhen. So darf in dieser Debatte etwas grundsätzlich nicht entgleiten: der Respekt vor Sterbenden, profilierungsfreie Solidarität mit Kranken und Demut davor, worüber wir nichts wissen. Demut vor dem Wesen des Todes. Alte, allgemeine Werte. Ich weiß.

Monika Knoche

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