Transgenialer CSD demonstriert: Politik, Protest, Party
Der Transgeniale CSD gibt sich politischer als sein großer Bruder. Deswegen wurde das Straßenfest abgesagt – weil es nichts zu feiern gebe. Demonstriert aber wurde.
Mit verschränkten Armen und kritischen Blicken stehen einige am Rand der Gneisenaustraße und beobachten, was da gerade an ihnen vorbeizieht: ein Demonstrationszug mit schrill gekleideten Menschen und lauter Technomusik.
Sie sind eine bunte Truppe, die Demonstranten des Transgenialen CSD. Nach Angaben der Polizei waren es auch dieses Jahr wieder knapp 1.500 Demonstranten: bunt gekleidete Schwule und Lesben, Transsexuelle mit Leggins und hohen Absätzen, dazwischen immer wieder junge Familien mit Kinderwagen und am Ende des Zuges eine Gruppe Punks, die die herumliegenden Bierflaschen aufsammeln. Das gute Wetter an diesem Samstag sorgt für ausgelassene Partystimmung; aus den Umzugswagen schallt Technomusik.
Doch viel feiern wollte man dieses Jahr gar nicht auf dem Transgenialen Christopher Street Day unter dem Motto „Solidarisch Queertopia erkämpfen“. „Wir wollen nicht, dass der Transgeniale CSD zur Partymeile wird wie der große CSD“, sagt ein Demonstrant.
Tausende Schwule und Lesben haben in Berlin mit einer großen Straßenparade zum Christopher Street Day (CSD) gegen gesellschaftliche Diskriminierung demonstriert. Unter dem Motto "Schluss mit Sonntagsreden" zogen sie am Samstag vom Kurfürstendamm zum Brandenburger Tor. Am Straßenrand verfolgten Schaulustige den bunten Umzug mit 50 Wagen und Dutzenden Gruppen zu Fuß. Die Veranstalter sprachen von 700.000 Menschen.
Bis in die Nacht hinein feierten sie ausgelassen und friedlich, wie ein Polizeisprecher am Sonntag sagte. Zu den CSD-Forderungen gehörte eine rechtliche Gleichstellung von Regenbogenfamilien. Das Spektakel, das zum 35. Mal durch die Hauptstadt zog, war lange nicht mehr so politisch. Die CDU durfte diesmal nicht mit einem eigenen Wagen mitfahren - wegen ihres Kurses bei der Gleichstellung von Schwulen und Lesben war die Partei von den Veranstaltern ausgeschlossen worden. Allerdings war die LSU, die Untergruppe der Schwulen und Lesben in der Union, mit einem Wagen dabei.
In CDU und CSU lehnen viele eine völlige rechtliche Gleichstellung schwuler und lesbischer Partnerschaften trotz eindeutiger Verfassungsgerichtsurteile weiterhin ab. Vor der CDU-Bundeszentrale stoppte der Umzug und die Menge startete ein lautes Pfeifkonzert. Protestiert wurde beim Berliner CSD aber auch gegen die Diskriminierung von Homosexuellen im Ausland, etwa in Russland oder in Ungarn.
Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) sagte der Nachrichtenagentur dpa, es sei richtig, gegen "verfehlte Politik" zu protestieren. Ob man mit dem Ausschluss eines Wagens oder einer Partei reagieren sollte, sei aber eine andere Frage. 2012 hatte Wowereit die CSD-Parade mit dem CDU-Landesvorsitzenden Frank Henkel eröffnet, der diesmal auf eine Teilnahme verzichtete.
Der Landesvorsitzende der LSU, Martin Och, bezeichnete den Ausschluss der Union als "fatales Signal". Wer für Akzeptanz und Toleranz werbe, müsse auch andere Meinungen akzeptieren, sagte Och und sprach von einer einseitigen "Wahlkampfmasche".
Der CSD erinnert an einen Aufstand von Homosexuellen gegen Polizeirazzien 1969 in der Christopher Street in New York. Seitdem gehen jedes Jahr weltweit Schwule, Lesben, Bi- und Transsexuelle für ihre Rechte auf die Straße. (dpa)
Deshalb wurde dieses Jahr auch das traditionelle Straßenfest am Ende des TCSD abgesagt. Es gebe wegen der vermehrten rassistischen Übergriffe in Berlin nichts zu feiern, so die Veranstalter. Man will politisch bleiben, trotz der ausgelassenen Stimmung und der lauten Musik.
Auf dem Mehringdamm hält der Zug, die Bässe verstummen. Mehrere Aktivistinnen reden über Missstände in Berlin und Angriffe auf Homosexuelle. „Man diskutiert viel über die Gleichstellung der Ehe, aber darüber, dass Lesben in Berlin angegriffen werden, wenn sie Hand in Hand gehen, darüber wird nicht gesprochen“, bemerkt ein Redner. Fast eine halbe Stunde stehen mehrere Rednerinnen und Redner auf dem Hauptwagen, dann geht es weiter mit Musik.
Es ist ein schwieriger Spagat, den der Transgeniale CSD zwischen Protest und Party vollbringen muss. Schließlich hat man sich ursprünglich vom großen CSD getrennt, weil dieser immer mehr zur Loveparade für Schwule und Lesben wurde. Entstanden ist die Alternative im Jahr 1997. Damals hatte die Demoleitung des CSD eine Wagengebühr eingeführt, was einige Teilnehmer laut kritisierten. Hinzu kam der „Rattenwagen“ auf dem damaligen CSD-Zug, auf dem die Teilnehmer symbolisch im Dreck wühlten und teilweise andere Teilnehmer bewarfen.
Dieser Wagen war eine Reaktion auf die Äußerung des damaligen CDU-Fraktionschefs Klaus Landowsky: „Es ist nun einmal so, dass dort, wo Müll ist, Ratten sind, und dass dort, wo Verwahrlosung herrscht, Gesindel ist. Das muss in dieser Stadt beseitigt werden.“ Dieser Wagen wurde von der CSD-Leitung für die nächsten Jahre ausgeschlossen und von der Polizei vom Rest der Demo abgespalten. Der ausgeschlossene „Rattenwagen“ und einige Anhänger veranstalteten in Kreuzberg eine Spontandemonstration gegen die Demo-Leitung und gegen die Polizei. Diese Spontandemonstration fand in den Folgejahren unter dem Namen Transgenialer CSD parallel zum großen CSD statt. Man wollte politisch bleiben und gegen den Trend des CSD steuern, der immer weiter vom Demonstrieren zum Feiern überging. Deswegen sind Parteien, politische Banner und Nationalflaggen verboten. Werbebanner auf den Wagen gibt es auch keine.
Obwohl die Beziehungen zwischen den beiden Veranstaltern jedes Jahr schlechter wurden, kann es der Transgeniale CSD wohl als Erfolg verbuchen, dass die CSD-Leitung immer stärker diskutiert, wie man wieder politischer werden kann. Man versuche den CSD seit Jahren wieder politischer zu gestalten, bestätigte der CSD-Geschäftsführer Robert Kastl am Samstag in der taz. Dieses Jahr wurde die CDU vom CSD ausgeschlossen. Einzelne Mitglieder dürften aber trotzdem mitziehen, so Kastl, wie zum Beispiel die LSU, die „Lesben und Schwulen in der Union“. Außerdem will man die Vorschrift, dass nur 30 Prozent der Wagenfläche Werbung sein dürfen, endlich durchsetzen. Alles Zeichen dafür, dass sich der CSD wieder etwas mehr aufs Demonstrieren besinnt, statt nur zu feiern.
Mit verschränkten Armen steht ein Mann vor einer Shishabar an der Oranienstraße. „Hier kommt kein Schwuler rein“, nuschelt er eher vorsichtig vor sich hin, als der Transgeniale CSD an der Bar vorbeizieht. Ob er das Plakat einer Demonstrantin gesehen hat, auf dem steht „In Schubladen kommen bei mir nur Socken und Unterwäsche“? Auf alle Fälle zeigt es, dass das Ringen um Gleichberechtigung und Akzeptanz noch nicht überflüssig geworden ist.
Umso wichtiger ist es, dass die Demonstrationen für gleiche Rechte von Homosexuellen und Transsexuellen politisch bleiben und nicht zur Partymeile verkommen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin