: Trans Electric Express
■ Ein Besuch im Übungskeller: Mit Volldampf zurück ins Zeitalter der Röhre
Die zwei Musiker des Kreuzberger Duos Trans Electric Express haben sich eine besonders perfide Methode ausgedacht, um die Damen und Herren Pressebarone auf ihre gemeinsame Sache aufmerksam zu machen. Sie weigern sich beharrlich ein Demotape herauszurücken und dem Journalisten damit die inzwischen beliebteste Art der Berichterstattung zu ermöglichen: die aus dem heimischen Sessel. Um einen anzulocken, behaupten Heike Müller und Lotus Schmidt, ihre Musik könne man nicht adäquat auf Tonträgern festhalten, weil es eben echte »Livemusik« sei. Wenn man sie vor dem Konzert hören wolle, müsse man sich schon in ihren Übungskeller bequemen. Und der ist im fernen Charlottenburg, wo die Mietpreise für feuchte Kellerlöcher scheinbar inzwischen niedriger sind als in SO 36.
Neugierig auf Musiker, die sich selbst zu gut sind, um lebendig konserviert zu werden, erlebt man in dem gemütlich mit Teppichen und einem alten Sofa ausstaffierten Keller die nächsten Überraschungen: Etwa die Hälfte des Raumes steht eng voll mit Schlag- und Trommelinstrumenten jeglicher Bauart. Die bange Frage, ob sich beim Trans Electric Express einfach zwei Drummer eine Schlacht liefern, kann der zweite Mann im Publikum beruhigend verneinen. Er ist nämlich angereist, um das feuerrote Prachtstück der bandeigenen Röhrenverstärker- Sammlung, einen Marshall von 1966, zu reparieren. Der wird unter anderem benötigt, um den mächtigen Drumsound durch einen E-Bass aufzulockern und in den Pausen für ein wohliges Brummen zu sorgen. Lotus Schmidt besteht auf den alten Röhrenverstärkern, weil dadurch der Sound wärmer und abgerundeter wirke.
Heike Müller entwickelt an ihrer Schlagzeugbatterie genügend akustische Energie, um unverstärkt den kleinen Raum zu füllen. Während die Lautstärke im Keller nur knapp unter der Schmerzgrenze bleibt, also gerade noch im angenehmen Bereich liegt, dürfte der Schallpegel für Kirchenräume, wo die beiden ihre nächsten Konzerte geben werden, gut dosiert sein. Heikes Körper verschwindet fast völlig hinter den Trommeln , sie scheint nur noch aus präzise und konzentriert geschlagenen diversen Gongs, Snare- und Bassdrums zu bestehen. Herr Schmidt dagegen zupft gemütlich seinen E-Bass und läßt die Augen nicht von den zaghaft blinkenden alten Verstärkern. Wenn er ein Stück beginnt, zählt er nicht nur den Takt, sondern fragt Heike vorher immer: »Vamos?« Nach dem zweiten oder dritten Titel — insgesammt dauert dieses kleine Pressekonzert fast zwei Stunden — merkt man erst wie rhythmisch eingespielt das Duo ist. Seine Bassfiguren, die sich wie große Bandschleifen von Zeit zu Zeit wiederholen, sonst improvisiert sind, harmonieren mit dem Schlagzeugsound, der ebenfalls immer wieder um bestimmte Motive kreist.
Nach der Atempause, der Vermieter hat es bislang versäumt, die versprochene Lüftung des fensterlosen Kellers zu installieren, liest Lotus Schmidt noch einige Texte von Walter Mehring, Heike Müller bedient dazu das ebenfalls museale Hall-Effektgerät. Der 1981 verarmt im Schweizer Exil gestorbene Berliner Autor der Weimarer Republik liegt beiden sehr am Herzen. Schmidt zitiert sprachgewaltig aus dem »Großen Ketzerbrevier« Mehrings. »Dressur — das ist Kultur« echot es und wie in einer gewaltigen Bahnhofshalle 1929 brüllt uns das Börsenlied an: »Spekulieren! Spekulieren!«
Verläßt man den Übungskeller nach einigen Stunden, fühlt man sich wie auf dem Rückweg von einer Zeitreise. Irgendwie passen Heike Müller und Lotus Schmidt nicht in die digitale Zeitrechnung. Sie machen völlig überzeugt etwas, das ihnen wichtig ist und woran vielleicht nur sie noch glauben. Weltabgewandte Musik. Würde man versuchen sie auf Band aufzunehmen, wahrscheinlich würde man zuhause einfach nichts hören als das Brummen der glühenden Röhren des Marshalls. Andreas Becker
Um 20 Uhr live in der Ölbergkirche in Kreuzberg und am 16.6, 20 Uhr in der Heilig Kreuz Kirche, Nostizstr
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen