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Touvier, P. – Kein Beruf

Hinter schußsicherem Glas verfolgt der Nazi-Kollaborateur seinen Gerichtsprozeß  ■ Aus Versailles Dorothea Hahn

Flach und kraftlos kommt die Stimme aus dem Lautsprecher: „Touvier, Paul, Claude-Marie.“ Der Richter fragt weiter: „Beruf?“ – „Keinen“, fistelt er alte Mann in der schußsicheren Glaskabine in sein Mikrophon. In dem Gerichtssaal in Versailles ist es mucksmäuschenstill. Der einzige Franzose, der je wegen „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ angeklagt wurde, hat zum ersten Mal in der Öffentlichkeit gesprochen.

Ganz langsam läßt sich der schwergewichtige 79jährige wieder in den Sessel sinken. In seinem roten Polohemd und der dunkelgrünen Anzugjacke unterscheidet er sich nicht von anderen Rentnern. Seinen Blick heftet er an den vorsitzenden Richter. Während des gesamten ersten Verhandlungstages wird Touvier sein bleiches Gesicht nicht in die Richtung der 35 AnwältInnen von jüdischen Gruppen und Résistance-Kämpfern wenden, die ihm gegenüber sitzen.

Zwei Polizisten stützten den krebskranken Angeklagten, als er an diesem Donnerstag vor sein Gericht trat. Sie geleiteten ihn durch einen Geheimgang in die eigens für ihn gebaute Glaskabine. Vor neun Monaten erst ist in Paris der Polizeichef des Vichy-Regimes, Réne Bousquet, auf offener Straße erschossen worden. Auch Bousquet, der zusammen mit den Deutschen die „Endlösung“ für Frankreich organisiert hatte, drohte ein Verfahren wegen „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“. Bei dem Touvier-Prozeß sollen sich die Zwischenfälle nicht fortsetzen.

Vor 50 Jahren war der Angeklagte Informationschef der Miliz von Lyon – ein wichtiger Horchposten, um Interna aus der Résistance zu erfahren, die in Lyon ihre Hochburg hatte. Die stramm antisemitische französische Miliz war am 30. Januar 1943 – genau zehn Jahre nach der Machtergreifung in Berlin – gegründet worden.

Als hoher Milizionär hat Touvier viele Verbrechen begangen. Für zwei von ihnen – Verrat und Spionage – wurde er in den 40er Jahren von französischen Gerichten zum Tode verurteilt. Weil er damals schon im Untergrund war, überlebte er die Urteile. Auch als Staatspräsident Georges Pompidou ihn 1971 begnadigte, tauchte der Ex-Milizionär nicht auf, sondern versteckte sich noch fast zwei Jahrzehnte lang in französischen Klöstern und Kirchen.

Erst 1989 wurde Touvier verhaftet. Die französische Polizei fand ihn in der Abtei Saint-Francois in der Altstadt von Nizza. Zu dem Zeitpunkt waren die meisten seiner Verbrechen – die Plünderungen bei Deportierten, die Beteiligung an Morden, die Denunziationen – verjährt. Übrig blieben die Morde an sieben jüdischen Geiseln aus Lyon, wegen derer er jetzt vor Gericht steht. Touvier hatte die Männer im Morgengrauen des 29. Juni 1944 zu Hause abholen und Stunden später erschießen lassen.

Die AnwältInnen der Nebenklage haben jahrelang Material und Zeugenaussagen gesammelt. Es war nicht leicht, nachzuweisen, daß die sieben Morde von 1944 im Dienste einer ausländischen Macht geschahen. Doch nur dann erfüllen sie den Tatbestand von „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ und sind nicht verjährbar. An diesem ersten Verhandlungstag in Versailles beantragt der Verteidiger von Touvier den Ausschluß der meisten NebenklägerInnen aus dem Verfahren. Nur direkte Verwandte der Opfer – die wenigen überlebenden Brüder und Kinder — will er bei dem Verfahren zulassen. Die anderen hätten sich erst viel zu spät nach dem Verbrechen konstitutiert.

„Warum“, fragt der Anwalt einer jüdischen Organisation, „sollen für den französischen Angeklagten Touvier nicht die gleichen Bedingungen gelten, wie für den Deutschen Klaus Barbie?“ Der inzwischen verstorbene Gestapo- Mann ist der bislang einzige Mensch, der in Frankreich wegen „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ verurteilt worden ist.

Die Richter beraten zwei Stunden lang, bevor sie den Antrag der Verteidigung ablehnen. Draußen vor dem von 500 Polizisten gesicherten Gebäude legen die „Söhne und Töchter von Deportierten“ sieben Blumensträuße für die Toten von Lyon ab. Auf einem Transparent steht die Gleichung „Barbie–Touvier, Gestapo–Miliz“. Der Sohn eines in Auschwitz ermordeten Franzosen sagt: „Es gab viele Milizionäre in Frankreich. Wir wollen endlich Gerechtigkeit.“

Den Mann, der sich beinahe 50 Jahre lang vor ihnen versteckt hat, bekommen nur ganz wenige zu Gesicht. Im Gericht ist nur Platz für 15 ZuschauerInnen. Wer rein will, muß bereits am frühen Morgen Schlange stehen. Alle anderen müssen noch einmal 50 Jahre warten. Erst dann darf der Filmmittschnitt von der auf fünf Wochen angesetzten Gerichtsverhandlung veröffentlicht werden.

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