Tourismus: Strampeln durch die Geschichte
Touristen sind oft Zweirad-Amateure, dennoch boomen Fahrrad-Führungen durch Berlin.
Für die Familie aus Malaysia ist das gemeinsame "Cruisen" eine Premiere. "Bei uns fährt niemand Fahrrad. Ich hatte eines, als ich fünf war. Aber es ist zu gefährlich, eher fährt man Moped", sagt Sohn Bryan. Dan aus St. Louis ist auch nicht so geübt im Umgang mit dem Rad: "Wenn du 16 bist, wird Auto gefahren. Niemand setzt sich mehr bei uns auf ein Rad."
Immer mehr Touristen nutzen die Möglichkeit, Berlin auf dem Fahrrad zu erkunden. "Fahrradfahren wird hier zunehmend attraktiver. Es gibt inzwischen ein breites Angebot thematischer Touren", sagt Christian Tänzler von der Berlin Tourismus Marketing GmbH.
Am Fuß des Fernsehturms hat die Firma "Fat Tire Bike Tours" ihren Sitz, einer von vielen Anbietern in Berlin. Tourguide Jeff stammt aus den USA, er hat ein Studium deutscher Geschichte absolviert. Er ist bereits in seiner dritten Saison mit dabei. In Shorts und Turnschuhen, mit einem Baseballcap auf dem Kopf, führt er die Besucher durch die Stadt. Tourteilnehmer sind heute die sechsköpfige Familie aus Malaysia und sechs Amerikaner Mitte zwanzig. Von den Fahrrädern Modell "Beach cruiser" sind alle begeistert, sie flößen ihnen Vertrauen ein. Sattel und Lenker sind extrabreit, das lässt ein bisschen Harley-Feeling aufkommen. Jeff erklärt die Funktionen des "Fat Tire Bike" mit seinen dicken Reifen. Auch die Verkehrsregeln sind kurz Thema.
Dann geht es los. Nach der Umrundung des Fernsehturms folgt der erste Stopp am Neptunbrunnen. Jetzt läuft der Stadtführer als Entertainer zu Hochtouren auf: Voller Ironie gibt er Anekdoten zum Besten. Wenn die Faktenlage an sich nicht schon kurios genug ist, hilft die Fantasie ein bisschen nach. Das Niveau ist hoch, gelacht wird viel. Woher etwa der Gendarmenmarkt seinen Namen hat und warum man den Franzosen einen Dom baute, dafür findet Jeff seine ganz eigenen Worte. Man wollte Franzosen in die Stadt locken, um die Geburtenrate zu steigern, erklärt er. "They should come and put back some love in the city, after half of the population died in the Thirty Years War" - sie sollten Liebe in die Stadt bringen, die im dreißigjährigen Krieg die Hälfte der Bevölkerung verloren hatte.
Nach der Besichtigung von Schauplätzen des Kalten Krieges und der Nazizeit, einem Biergartenbesuch und einer Runde durch das Regierungsviertel erreicht die Gruppe wieder den Alex. Preis: 20 Euro. Wolf Schroen, der Chef von "Fat Tire", freut sich über den Erfolg. "Die Konkurrenz ist groß, aber der Markt wächst mit." Schmunzelnd erzählt er von seiner Kundschaft. "Die Holländer scheinen auf dem Rad geboren zu sein. Italiener dagegen sind die reinsten Amateure." SIMON GARREIS
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!