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Tour de FranceAus Tradition gut

Zweite Tour-Station: Belgien. Radsportnation der Manipulateure und Qualitätsdoper. Darauf einen leckeren "Belgierbecher" vom Tierarzt!

Tour-Radler in Belgien, 2004 Bild: reuters

GENT taz Es muss für die Tour-de-France-Fahrer ein kleiner Schock gewesen sein, als sie sich am Montag früh nach zwei Tagen in England auf belgischen Straßen wiederfanden. So nett war es auf der Insel gewesen, in London hatten eine Million Fans sie neugierig beäugt und höflich beklatscht, ansonsten aber die sprichwörtliche britische Distanz gewahrt.

DIE TOUR-APOTHEKE

Kortison: Die ersten Etappen und die ersten Stürze liegen hinter uns. Manche Hautpartie ist vom Asphalt abgeschält wie eine alte Tapete. Die ersten Hintern sind wundgerieben. Gut, dass wir Glukokortikoide in der Reiseapotheke haben: das gute alte Kortison. Oral genommen, gesalbt, gerieben, aber vor allem in Gelenke, Muskulatur und Venen (!) gespritzt, entfaltet es wundersame Wirkung. Viel hilft viel: In hohen Dosen gibt es einen euphorisierenden Kick. Schmerzen werden besser ertragen, Entzündungen abgebaut. Kortison wirkt wie ein Stresshormon, der Organismus wird besser mit großen Belastungen fertig. Als Asthmaspray - und wer im Tourfeld ist kein Asthmatiker - verbessert es Atmung und Sauerstofftransport. Um den Missbrauch einzudämmen, werden Atteste für den Gebrauch verlangt, die jeder Teamarzt gerne ausstellt. Obacht: Das Immunsystem wird unterdrückt. Die Folge ist eine hohe Infektanfälligkeit. Ausrede des Tages: "Die Sprühflasche des Asthmasprays meiner Mutter ist im Wohnwagen explodiert. Über die austretende Wolke habe ich das Mittel eingeatmet." Radfahrerin Ivonne Kraft, Mai 2007.

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DIE GEAMTWERTUNG

Stand nach der ersten Etappe: 188. und Letzter Aleksandr Kuschynski (Weißrussland) + 8:41 Minuten; 187. und Vorletzter Cédric Hervé + 4:15; 186. Stéphane Auge (beide Frankreich) + 3:54; 185. Mark Cavendish (Großbritannien) + 3:37; 184. Wim Vansevenant (Belgien) + 3:04; 183. David Zabriskie (USA) + 02:59; 182. Brett Lancaster (Australien) + 02:15; 181. Ruben Lobato (Spanien) +1:51; 180. Danilo Napolitano + 1:33; 179. Enrico Degano (beide Italien) + 1:30

In Dünkirchen hingegen krochen die wilden flämischen Fans beinahe in die Mannschaftsbusse hinein, hatten am Morgen schon Bierfahnen, trugen wilde Hüte und Bemalungen und schwenkten unter lautem Gegröle ihre allgegenwärtigen flandrischen Fahnen. Ihre Sympathien und Antipathien für und gegen bestimmte Fahrer taten sie lauthals kund und trugen sie sichtbar auf Transparenten vor sich her.

Belgien ist eine leidenschaftliche Radsportnation. Das Radeln macht dem Fußball von der Popularität her starke Konkurrenz, es vergeht kein Tag, an dem nicht zig Zeitungsseiten mit Radsportberichten gefüllt sind. Die Flandern-Rundfahrt, der belgische Radklassiker im April, ist ein Nationalfeiertag und zu jedem Kirmesrennen kommen die Leute zu Tausenden an die Strecke. In jedem Dorf steht ein "Supporter Café" - eine jener berüchtigten Fankneipen, die oft einem einzigen Fahrer oder einem Team gewidmet sind und in denen sich alles um den Radsport dreht.

Zugleich wird kein anderes Radsportland so eng mit der Kultur des systematischen, hemmungslosen Dopings in Verbindung gebracht wie Belgien. Der "Pot Belge", der Belgierbecher, ist im Radsport sprichwörtlich: ein teuflisches Gemisch aus Heroin, Kokain, Analgetika und Amphetaminen, der den Fahrern über Jahre von ihren zumeist belgischen Pflegern gereicht wurde, um die Strapazen besser auszuhalten. Und bis auf den derzeitigen Superstar Tom Boonen gibt es kaum einen belgischen Spitzenfahrer, der nicht zumindest einmal schon unter massivem Dopingverdacht stand.

Der große Eddy Merckx etwa war bereits vor dem ersten seiner fünf Tour-de-France-Siege mit Amphetaminen im Blut aufgefallen. Der größte Eintagesfahrer der 90er-Jahre, Johan Museeuw, gab in diesem Frühjahr zu, von dem (belgischen) Tierarzt Jose Landuyt über Jahre die Mittel Aranesp und Epo bekommen zu haben. Und dann ist da die traurige Geschichte von Frank Vandenbroucke, dem nach Expertenmeinung größten Talent des belgischen Radsports in den vergangenen Jahren, das nach mehreren Verhaftungen wegen Besitzes von Dopingmitteln einen Selbstmordversuch begang und in der Psychiatrie landete. Die Liste der Belgier, die mit Doping im Radsport in Verbindung gebracht werden, lässt sich beinahe beliebig fortsetzen.

Da ist Willy Voet, der Pfleger des Teams Festina, der 1998 jenen Skandal in Gang setzte, der die Tour ins Wanken brachte. Voet hatte in seinem Kofferraum bei der Einreise nach Frankreich, absurde Mengen von Epo für seine Mannschaft verstaut; da ist weiter der T-Mobile Masseur Jef Dhont, der mit seinen Memoiren die Geständniswelle im einstigen deutschen Vorzeigeteam auslöste; da ist der Teamleiter der belgischen Mannschaft Quick Step, Patrick Lefevere, der Museeuw und Vandenbroucke betreute, als Fahrer selbst gedopt hat und den T-Mobile-Manager Bill Stapleton gerade erst als "Vertreter des alten Denkens" bezeichnete; und da ist der frühere Rennfahrer Rudy Pevenage, der Vertraute, Trainer und Berater von Jan Ullrich, der nachweislich regen SMS-Verkehr mit Eufemiano Fuentes pflegte.

Trotz dieser eindrucksvollen Liste belgischer Doper und Dopinghelfer glaubt jedoch Marc Gheyselink, ein altgedienter belgischer Radsportreporter für die Zeitung Het Laatste Nieuws, nicht an eine besondere belgische Neigung zum Betrug und zur Selbstmedikation. "Es ist einfach so, dass wir ein Land mit einer tief verwurzelten Radsporttradition sind", sagt Gheyselink. "Und wo es viel Radsport gibt, gibt es eben viel Doping."

Weil der Radsport in Belgien aber eine so lange Tradition hat, so Gheyselink weiter, tut er sich besonders schwer damit, die alte Mentalität des Dopens und Schweigens abzuschütteln. Die Positionen in den Mannschaften vom Direktor bis zum Masseur sind durchweg mit ehemaligen Rennfahrern besetzt, die wiederum Söhne von Pflegern und ehemaligen Rennfahrern sind und die das Dopingwissen und die -praktiken sowie die Radsport-interne Privatmoral von Generation zu Generation weitergeben. "Wenn wir als Journalisten heute kritische Fragen stellen", berichtet Gheyselink, "dann werden wir immer noch angegriffen. Johan Bruyneel (der belgische Exrennfahrer und Chef der Lance-Armstrong-Mannschaft Discovery) hat beispielsweise erst letztens zu mir gesagt, ich würde in die eigene Suppe spucken und an dem Ast, auf dem wir alle sitzen, sägen." Aber immerhin scheint sich das belgische System zumindest von der Seite der vorher bloß devoten Presse langsam zu ändern.

Gheyselinks Zeitung Het Laatste Nieuws berichtet von der Tour de France zumindest zur Hälfte ausschließlich über Dopingthemen. Es ist ein zarter Anfang, an den zutiefst verkrusteten Strukturen zu kratzen.

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