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Tour-de-France-Berichterstattung"Alle haben es gewusst"

Journalisten, denen erst 2007 auffällt, dass im Radsport gedopt wird, ist nicht zu helfen, meint Ex-ZDF-Redakteur Michael Palme. ARD und ZDF hätten es jahrelang verschwiegen.

ARD/ZDF-Camp am Tag der Touraufgabe - Manche Journalisten waren eher Fans Bild: dpa

taz: Herr Palme, haben Sie die Tour de France im Fernsehen verfolgt?

Michael Palme: Ja, mit großem Erstaunen.

Erstaunen?

Eurosport und Sat.1 legen einen Schneckengang an den Tag. Sie wissen um die Doping-Probleme, übertragen trotzdem, und die Reporter haben die ungeheuer schwierige Aufgabe, zwar alles ganz toll finden zu müssen, aber gleichzeitig auf die Umstände hinzuweisen.

Dieses Problem hatten ARD- und ZDF-Reporter nach der ersten Tour-Woche nicht mehr.

Den Ausstieg von ARD und ZDF halte ich für die richtige Methode, mit dem Radsport umzugehen. Ihn einfach weglassen.

Statt erst 2007 aus der Tour-Übertragung auszusteigen, hätten ARD und ZDF vor Jahren mit einer kritischen Berichterstattung beginnen können?

Noch einmal: Ich finde es völlig richtig, dass man Betrügern kein Fenster mehr gibt. Bei den Öffentlich-Rechtlichen wird jetzt kritisch zusammengefasst statt live berichtet. Aber es stimmt: Plötzlich kritisieren Journalisten den Radsport, die jahrelang alles ganz prima fanden. Und das, obwohl sie wussten - und jeder wusste es, der mit dem Sport zu tun hatte - dass gedopt wird. Dass diese Kollegen die Sportart nun harsch kritisieren, hat natürlich Hautgout. Das hat man vor zehn Jahren schon gewusst, hat sich aber von der Begeisterung um Jan Ullrich mitreißen lassen.

Haben es wirklich alle gewusst?

Ich behaupte ja. Wer jetzt sagt, er sei völlig überrascht, dem ist nicht zu helfen. Wir haben in der Redaktion immer wieder darüber geredet, dass es nicht mit rechten Dingen zugeht. Ich erinnere mich, dass mal ein Redaktionsleiter mitteilte, wir könnten nicht über Doping berichten, so lange wir keine Beweise haben. Das ist hanebüchen.

Ist der Sportjournalismus verludert?

Ja. Ich will ein Beispiel nennen: Als bekannt wurde, dass Patrik Sinkewitz positiv getestet wurde, hat der verantwortliche Redakteur der Lokalzeitung seiner Heimat im Fernsehen ein Interview gegeben. Er war völlig erschüttert, nicht etwa weil der Sportler betrogen hatte - er war erschüttert, weil er sich betrogen fühlte. Denn jahrelang hat er Sinkewitz als großen Helden in der Region gefeiert; nun war er persönlich beleidigt, dass Sinkewitz kein Held ist, sondern ein Betrüger.

Er ist wohl eher Fan als Journalist?

So ist es.

Kann Journalismus überhaupt etwas zum Kampf gegen Doping beitragen?

Ich glaube ja. Sponsoren und Geldgeber sind abhängig vom Fernsehen. Wenn es nicht mehr berichtet, könnte es sein, dass Sponsoren aussteigen. Dann gibt es vielleicht ein Umdenken bei Managern, sportlichen Leitern - und Athleten. Den Dopingsumpf werden die Journalisten nicht trocken legen können. Aber sie dürfen sich nicht gemein machen mit der Betrügerei, sie müssen den Finger drauf legen.

Können Journalisten überhaupt kritisch berichten, nachdem sie jahrelang Sport als Event verkauft haben?

Ein paar Journalisten, die jahrzehntelang über Radsport berichtet haben, müssen sich jetzt an die eigene Nase fassen und sagen: So kann es nicht weiter gehen. Ich bin kein Fan, sondern Journalist und muss berichten, was passiert. Der eine kann dies, der andere nicht. Und offensichtlich gibt es genug, die es gar nicht wollen. Das ist bedauerlich.

Wollen die Sender denn kritischen Sportjournalismus? TV-Formate wie "Sport-Spiegel" und "Sport unter der Lupe" wurden vor Jahren abgeschafft.

Die Sender fürchten, mit negativen Berichten mögliche Studiogäste zu verprellen. Das würde für manche Sendung das Aus bedeuten. Es ist ein Gang auf dem Drahtseil - schwierig, aber lösbar. Wir haben im "Aktuellen Sportstudio" damals kritische Berichte gemacht, und trotzdem sind die Leute gekommen.

Ein kritischer Sportjournalist wie der ARD-Reporter Hajo Seppelt musste um seinen Job fürchten.

Das ist ein schönes Beispiel. Seppelt darf nun sagen, was er schon vor Jahren gesagt hat. Damals hat man ihn dafür fast weggejagt - jetzt darf er sich als Experte äußern. Das ist natürlich etwas verlogen. Man kann es aber auch so sehen, dass die Redaktionen nun doch begreifen, was Sportjournalismus sein muss.

Was schlimm für den Sport ist, nämlich Doping-Skandale, ist gut für Sportjournalismus?

Das kann es sein, wenn sich genug Journalisten finden, die sagen: Es ist nicht alles Friede, Freude, Sonnenschein im Sport weltweit. Und die nicht sagen: Ich mache mit und verschweige, was ich weiß, um den Sport nicht kaputt zu machen.

Was braucht der TV-Sportjournalismus in Zukunft?

Sendungen wie "Sport-Spiegel" und "Sport unter der Lupe" fehlen erheblich. Ich bin auch sicher, dass die Leute so etwas sehen wollen. INTERVIEW: JUTTA HEESS

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