Tour de France 1998: Zabel, Ullrich und das lange Lügen
Ein Bericht der französischen Anti-Doping-Kommission belegt, dass Zabel, Ullrich und andere bei der Tour de France 1998 mit Epo gedopt haben.
Dopingmittel haben wundersame Wirkungen. Wer erinnert sich nicht an das zerknirschte Gesicht und die kullernden Tränen des Erik Zabel, als er 2007 Doping zugab. „Ich möchte nicht mehr lügen. Es ist an der Zeit, die Wahrheit zu sagen“, hörte man von ihm.
Er erzählte, dass er 1996 für 256 Mark Epo erworben und ausprobiert hatte, schränkte bei dieser herzzerreißenden Beichte freilich ein, Epo nach 20 Tagen wieder abgesetzt zu haben, nachdem bei ihm Nebenwirkungen aufgetreten seien. „Ich hatte eine erhöhte Körpertemperatur und einen niedrigeren Ruhepuls. Ich war aber immer nur gut, wenn Kopf und Beine im Einklang standen. Das war nicht mehr der Fall, sodass ich entschieden hatte, damit aufzuhören“, wollte er seinem damaligen Publikum weismachen.
Nun geht Zabel als der erste Sportler in die Geschichte ein, bei dem eine 20-tägige Epo-Kur noch zwei Jahre danach messbare Spuren im Organismus hinterlassen hat. Das geht aus einem Bericht der Untersuchungskommission des französischen Senats hervor, der Zabel und zahlreiche seiner Kollegen, darunter Jan Ullrich, Toursieger Marco Pantani, Sprintstar Mario Cipollini und Ausreißerkönig Jacky Durand der Epo-Einnahme bei der Tour 1998 überführt.
Wenn Zabel heute rote Ohren hat, dann möge dies bitte nicht vom Epo herrühren, sondern von der Scham übers ausgedehnte Lügen – und übers schändliche Benutzen seines Sohnes. „Mein Sohn fährt selber Rad, und ich möchte nicht, dass er oder seine Freunde eine ähnliche Situation vorfindet wie wir“, gab er vor sechs Jahren von sich. Mittlerweile wurde Rick Zabel deutscher U23-Meister, gewann auch die Flandernrundfahrt der Junioren und soll den BDR bei den Weltmeisterschaften vertreten. Er hätte einen aufrechteren Mann als Vater verdient gehabt.
Der Auf- und Absteig mit Epo
Zabel senior hatte 2007 freilich schon durchblicken lassen, dass die behauptete einmalige Epo-Einnahme nur eine Notlüge war. „Ich habe gedopt, weil es ging“, sagte er damals. Bis zum Jahr 2000 gab es keinen akzeptierten Nachweistest für Epo. Erstmals wurde ein solcher bei den Olympischen Spielen 2000 in Sydney eingesetzt. Zwei sogar, einer mit Blut, einer mit Urin. Der Bluttest wies in 9 von insgesamt 300 Proben Epo nach. Weil im Urintest die B-Proben negativ ausfielen, die der sensiblere Bluttest in den A-Proben als positiv erkannt hatte, wurden die Namen der Athleten niemals benannt. Ein geradezu hanebüchener Vorgang der Sportfunktionäre.
Es muss sich, selbst wenn die Namen der drei Medaillengewinner des Straßenrennens Jan Ullrich, Alexander Winokurow und Andreas Klöden dies nahelegen, bei den neun nicht unbedingt um Radsportler gehandelt haben. Denn nach offizieller Einführung des Epotests 2001 lieferten sich Leichtathleten und Radprofis ein echtes Kopf-an-Kopf-Rennen bei positiven Proben. Der Erste war der Schweizer Radprofi Roland Meier (immerhin 7. der Tour 1998). Ihm folgte die russische Halleneuropameisterin über 3.000m Olga Jegorowa. Prominenter waren die US-Leichtathleten Marion Jones, Kerri White und Tim Montgomery, die aufgrund des Balco-Skandals nachträglich ihre Titel und Medaillen von der WM 2001 zurückgeben mussten.
Der sie betreuende Dopingguru Victor Conte bemerkte zu Epo lakonisch: „Zweck war es, die Zahl der roten Blutkörperchen zu erhöhen und damit die Sauerstoffaufnahme. Diese Substanz gibt Sprintern große Vorteile, weil sie damit mehr Wiederholungen ausführen und damit höhere Trainingsbelastungen durchstehen können.“
Schummeln als Leistungssport
Was gut ist für Sprinter in der Leichtathletik, ist auch prima für Sprinter im Radsport. Zabels Dauerrivale Mario Cipollini wird im Senatsbericht ebenfalls als Epo-Konsument genannt. Conte lieferte im Übrigen auch den Grund, warum Jones und Montgomery, Zabel, Cipollini und Ullrich – der bislang Epo-Einnahme abgestritten und sich damit ebenfalls kaum für einen Glaubwürdigkeitspreis qualifiziert hat – auch nach Einführung der Tests weiter Epo genommen haben dürften: Es war gut kalkulierbar. „Es ist nach 72 Stunden nicht mehr nachweisbar bei Spritzen in den Bauch und schon 24 Stunden nach einer intravenösen Injektion verschwunden“, meinte Conte.
Inzwischen haben sich die Nachweisfenster verkleinert. Aktuell ist mit dem Fettverbrenner Aicar ein Mittel auf dem Markt, das sehr an die 1998er Situation erinnert. Noch existiert kein Test, der körperfremdes von körpereigenem Aicar unterscheiden kann. Wie sagte Erik Zabel früher: „Ich habe gedopt, weil es ging.“ Wie oft hat man von einem Leistungssportler gehört: „Ich dope nicht, obwohl es ginge“?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Kohleausstieg 2030 in Gefahr
Aus für neue Kraftwerkspläne
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe