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■ Tour d'EuropeKoran versus Bibel

Seit der Französischen Revolution findet sich die Trennung von Staat und Kirche in europäischen Verfassungen. Trotz der staatlichen Bildungsaufsicht haben die Kirchen in fast allen Ländern nach wie vor Einfluß auf das Bildungswesen. Neben konfessionellen Schulen, die im Sinne der Bildungsfreiheit weiterhin existieren, bieten auch staatliche Schulen in den meisten Ländern Religionsunterricht an – dem die Kinder mehr oder weniger freiwillig folgen.

Bloß in Frankreich sind staatliche Schulen vollständig zur Neutralität verpflichtet – religiöse Unterweisung findet dort generell nicht statt. Statt dessen kann der schulfreie Mittwoch nach Belieben für religiöse Unterweisung genutzt werden. Dann öffnen auch die Koranschulen für muslimische Kinder ihre Pforten. Die skandinavischen Länder haben sich für das andere Extrem entschieden: Staatliche Schulen geben prinzipiell auch Religionsunterricht. In Dänemark findet an allen Schulen lutheranischer Unterricht statt. Außerdem werden dort private konfessionelle Schulen zu 85 Prozent vom Staat finanziert. In England existieren 4.500 „Churches of England“ und römisch-katholische Schulen sowie 20 jüdische.

In den Niederlanden ist der Einfluß der Kirchen noch ausgeprägter: Religionsunterricht an staatlichen Schulen findet statt, wenn mindestens zwölf Elternpaare in einer Klasse es wollen. Zwei Drittel der Niederländer besuchen ohnehin konfessonelle Schulen.

In den meisten westeuropäischen Ländern hat die Frage nach religiöser Unterweisung in den vergangenen Jahren eine neue Facette bekommen: Nicht nur Protestanten und Katholiken machen ihren traditionellen Einfluß auf das Bildungssystem geltend, sondern auch muslimische Einwanderer. In immer mehr Ländern drängen islamische Eltern auf die Gründung eigener Schulen oder auf die Möglichkeit, im Religionsunterricht Koran zu lesen. In den Niederlanden existieren inzwischen über 20 islamische Schulen. Nur in Belgien wird sonst eine (!) islamische Schule aus öffentlichen Mitteln finanziert. Zwar gibt es auch in England 15, in Deutschland 2, in Frankreich eine muslimische Schule – sie bekommen aber keine staatlichen Gelder.

In den ehemaligen sozialistischen Staaten Osteuropas, in denen Priester in den Klassenzimmern ein völliges Tabu waren, kämpft die katholische Kirche um eine Rückkehr in das Bildungssystem. Kreuze im Klassenzimmer und Gebete vor dem Unterricht sind dort keine Seltenheit mehr. In Polen wurde bereits 1990 der Religionsunterricht wieder eingeführt; in Ungarn werden öffentliche Gebäude geräumt, um katholische Schulen zu errichten.

In allen Ländern sind die Leidtragenden einseitiger, religiöser Unterweisung im Zweifelsfall immer die Kinder, die einer Minderheitenreligion angehören, seien sie nun evangelisch, katholisch oder muslimisch.jgo

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