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Tour-Tagebuch – letzter TeilSex and Drugs im Kulturpalast der Erdölraffinerie

■ Durchfallend, kotzend und restlos begeistert kehrt die Bremer Band „missing link“ von ihrer einwöchigen Wießrussland-Tournee zurück. Bandgitarrist Jakob Nebel weiß schon jetzt: „Wir kommen wieder!“ Und hierzulande will er Werbung für Weißrussland machen, wo er nur kann

Eine Woche lang tourte das Bremer Quintett „missing link“ durch Weißrussland. Eingeladen hatten die Jugendringe aus Deutschland, der Schweiz und Weißrussland, die in Minsk ein Jugendfestival organisiert hatten. Mit auf der Reise: neben den Bandmitgliedern (Gitarrist und Chronist Jakob, Keyboarder Raphael, Drummer Til, Bassist Felix und Sänger Sebastian) der Tourbusfahrer Jochen, Tontechniker Boris sowie das Trio Thomas, Kersten und „Jkl“ vom Hannoveraner Sender TVN.

Montag, 11. Oktober: Der letzte Konzerttag oder Mosyr, die Stadt der Gastfreundschaft

11 Uhr: Ankunft. Wir treffen auf Luba, eine anziehende Person in den Vierzigern und außerdem unsere Kontaktperson. Das Raduga-Zentrum, für das sie als Dolmetscherin arbeitet, ist ein Tagesheim für behinderte Kinder und vor allen Dingen für solche, die an den Folgen von Tschernobyl leiden. Die Reaktorkatastrophe hat sich nämlich nur 80 Kilometer von Mosyr entfernt ereignet, direkt hinter der Grenze zur Ukraine.

Dieser Tag ist ein einziges Wechselbad der Gefühle. Wir werden zuerst von einer Delegation des Heimes mit einer Art Ritual empfangen. Uns wird ein Kuchen gereicht, von dem jeder ein kleines Stück probieren soll. Dann der Auftritt vor den Kindern. Wir spielen ein „Unplugged-Set“ mit Akustikgitarren, Klavier und Bongos. Wobei wir alles in halber Geschwindigkeit intonieren, wahrscheinlich die Folge unserer durchzechten Nacht. Jetzt sind die Kinder dran und singen einige Lieder für uns, sowohl traditionelle weißrussische als auch deutsche! Eine kleine Tanzvorführung gibt es auch noch, die Akteure sind höchstens sechs Jahre alt!

Dem DJ und mir stehen die Tränen in den Augen. Ich muss richtig kämpfen, dass es mich nicht total übermannt. Wir fühlen uns richtig schlecht, dass wir kaum Geschenke für die Kinder dabei haben. Wenigstens ein signiertes Poster können wir jedem von ihnen geben, worüber sie sich aber auch schon freuen. Ich glaube, zurück in Deutschland wird erstmal ein Päckchen gepackt und hierhin geschickt.

15 Uhr: Flussdampferfahrt auf dem Ribeat, einem naturbelassenen, breiten Fluss, der quer durch die Polessje (eine Art Nationalpark mit Sumpf- & Waldlandschaft) führt. Es tut so gut, nach den letzten Tagen mal ein wenig Entspannung haben zu können.

17 Uhr: Ankunft im „Kulturpalast der Erdölraffinerie“. Ein majestätischer bestuhlter Saal mit Loge, erinnert mich ein wenig an unser Goethe-Theater in Bremen. Hat bestimmt gut tausend Sitzplätze. Wir fragen uns, wie sich dieser Saal nach der kurzfristigen Umverlegung des Termins heute noch füllen soll. Aber Luba bleibt da ganz cool.

Die Auftritte in Belarus entwickeln sich langsam zur Droge. Ich bin schon ganz heiß auf den Abend. Und als Raphael und ich mal raus gehen, um noch Sachen aus dem Bus zu holen, stehen da doch tatsächlich mindestens tausend Leute Schlange. Wir verpassen darüber prompt unseren Soundcheck und müssen uns deswegen erst mal wieder mit dem Rest der Band aussöhnen.

19.30 Uhr: Der Auftritt wird zum vollen Erfolg. Sogar die Brigade von Soldaten, die es sich in den letzten zwei Reihen bequem gemacht hat, setzt sich in Bewegung. Die stehen da doch wirklich auf den Sitzen und schwenken die Feuerzeuge! Ein Bild für die Götter. Außerdem fangen zwei blonde Schönheiten neben mir auf der Bühne an zu tanzen, oder genauer gesagt: mich anzutanzen. Ich weiß wirklich nicht, wie wir uns wieder an die Auftritte in Deutschland gewöhnen sollen!

22 Uhr: Nach dem Konzert verschwindet ein Mitglied unserer Crew zum Date, der Rest schaut sich die TVN-Bilder vom Gig an.

Dienstag, 12.Oktober: Grenze, die zweite (mit erschwerten Bedingungen)

Nach einem ausgiebigen Nudel/Wurst-Frühstück, einem Einkaufsgang über den Markt und der Verabschiedung von der lieben Luba machen wir uns auf den Heimweg, Richtung Grenze. Sebastian bemerkt, dass er seine Jacke beim Besäufnis im „Arab Snack“ vergessen hat. Später dann, etwa fünf Minuten vor der Grenze Terespol (der gefürchteten) fällt ihm dann noch ein, dass in der Jacke sein Pass war!

Sobald unser Handy wieder Netz hat, setzen wir uns mit der Botschaft in Minsk in Verbindung. Der Zuständige, Herr Scholz mit dem Dauergrinsen (vgl. Teil 3 des Tour-Tagebuchs), spricht Sebastian jegliche Hoffnung ab und rät ihm, doch gleich zurück nach Minsk zu fahren zwecks Ausstellen eines neuen Passes. Was für ein Alptraum!

Wir versuchen es trotzdem, räumen ganz dreist Schranken von der Fahrbahn weg und benutzen die Diplomatenanfahrt. Habe in dieser Woche viel von unserem Tourbusfahrer Jochen gelernt (Jochen, der sich immer und überall seinen Weg bahnt).

20 Uhr: Um es kurz zu machen: Es dauert diesmal geschlagene acht Stunden, auch sind ebenso viele „Schikane-Stations“ („Jkl“s Wortkreation) zu durchlaufen. Es ist kaum zu glauben, aber nachdem Jochen den ersten Grenzer, dem der fehlende Pass auffällt, geschmiert hat, und Till im entscheidenden Augenblick nur die neun Pässe hingibt, dabei dreiste Ablenkungsmanöver startet, ist „Schwarzfahrer“ Sebastian mit uns anderen in Polen! Ich muss zugeben, die Botschaft hat auch noch den einen oder anderen Anruf getätigt. Dennoch ist es hauptsächlich Till, der das Schicksal zum Guten gewendet hat.

Jochen ist im 7. Himmel. Seine Tankkreditkarten funktionieren wieder: „Ich habe mich noch nie so gefreut, nach Polen zu kommen!“

Montag, 18.Oktober Nachtrag

Ein Fazit zur Tour lässt sich so gar nicht formulieren – bei all den Eindrücken, die da auf uns niedergeprasselt sind in der Woche. Außerdem haben wir viel zu wenig geschlafen, um noch klar denken zu können. Einiges nehme ich mir aber doch jetzt schon vor: In Deutschland, so weit es mir möglich ist, zu verbreiten, was für ein tolles, gastfreundliches, aber auch armes, teils verstrahltes und vor allem politisch unterdrücktes Land Belarus ist. Wir werden versuchen, hier Bands aus Weißrussland Support zu geben, so dass sie Auftrittsmöglichkeiten finden. Aber das Wichtigste von allem: Ich plane schon die nächste Tour. Denn halbe Sachen machen wir nicht! Jakob Nebel

Von „missing link“, der Bremer Band für Alternative/Cross-over, sind bislang zwei CDs erschienen. Sie heißen „out of season“ und „ahead“. Live ist die Combo am 10. Dezember ab 18 Uhr im Schlachthof zu erleben. Kontakt: 79 40 889

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