Totschlagprozess in Leipzig: Neonazi, aber nicht fremdenfeindlich?
In Leipzig beginnt der Prozess gegen einen Neonazi, der den Iraker Kamal Kilade getötet haben soll. Trotz Hakenkreuz-Tattoos sehen die Ermittler kein ausländerfeindliches Motiv.
LEIPZIG taz | "II. Abt. Grup. 1-4" steht auf dem Schild am Leipziger Nordfriedhof. Etwas abseits unter einer großen Kastanie liegt Kamal Kilade begraben, ein im Irak geborener Leipziger, der nur 19 Jahre alt werden durfte. Jemand hat ihm ein kleines, weißes Keramikherz aufs Grab gelegt: "Meine große Liebe" steht darauf.
Kamal Kilade hatte noch viel vor mit seinem jungen Leben: Wenige Tage nach der verhängnisvollen Samstagnacht zum 24. Oktober habe er seine Ausbildung abschließen und sich dann einbürgern lassen wollen, berichtet ein enger Freund der Familie. Doch dann traf er zu später Stunde in der Nähe des Leipziger Hauptbahnhofs auf zwei Neonazis - und starb am darauf folgenden Tag in der Universitätsklinik an einem Verblutungsschock.
Am Freitag beginnt am Leipziger Landgericht nun der Prozess gegen den Mann, der Kilade mutmaßlich erstochen hat: Marcus E., 33, aus Erfurt. Gerade mal zehn Tage vor der Tat war er nach zwölf Jahren Haft aus dem Gefängnis entlassen worden, wo er unter anderem wegen Vergewaltigung und gefährlicher Körperverletzung einsaß.
Dass der Mann ein Neonazi ist, daran kann es kaum einen Zweifel geben. Marcus E. ist nach taz-Informationen an der rechten Schulter mit einem Hakenkreuz tätowiert.
Kistenweise Nazi-Propaganda
Als die Ermittler nach der Tat seine Wohnung durchsuchten, fanden sie drei Kisten voller Nazi-Propaganda, darunter ein Buch über die Waffen-SS, Exemplare der NPD-Zeitung Deutsche Stimme und Hefte der rechtsextremen Gefangenenhilfsorganisation HNG. Auf dem Cover eines bei Marcus E. sichergestellten Buchs steht: "Skinheads of the Racial Holy War" - Skinheads des heiligen Rassekriegs.
Auch der Mitangeklagte Daniel K., 29, aus Leipzig ist mit Nazisymbolen volltätowiert. SS-Runen prangen an seinem Schlüsselbein, auf der Brust daneben das SS-Motto "Meine Ehre heißt Treue". Im Jahr 2001 war Daniel K. nach Nordrhein-Westfalen gezogen und dort Mitglied der berüchtigten rechtsextremen "Kameradschaft Aachener Land" geworden. Wegen Geiselnahme und gefährlicher Körperverletzung wurde er 2007 zu 3 Jahren und 3 Monaten Gefängnis verurteilt.
In Haft soll Daniel K. den Neonazi Marcus E. kennengelernt haben, wie es in Sicherheitskreisen heißt. Als der entlassen wird, treffen sich die beiden Knastkumpels am 23. Oktober in Leipzig wieder, um auf Sauftour zu gehen. Am Tag darauf waren die beiden wieder in Haft - und Kamal Kilade war tot.
Aus Mordvorwurf wird Totschlag-Anklage
Zunächst schien für die Ermittler alles klar: Zwei Männer mit rechtem Hintergrund haben einen jungen Iraker angegriffen, weil er Ausländer war, vermuteten sie. Der Haftbefehl, den das Leipziger Amtsgericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft erließ, lautete auf gemeinschaftlichen Mord.
Doch als die Leipziger Staatsanwaltschaft im Februar dann Anklage erhob, warf sie dem mutmaßlichen Messerstecher Marcus E. nur noch Totschlag vor. Von einem ausländerfeindlichen Motiv der Tat geht die Behörde plötzlich nicht mehr aus. Dem zweiten Angeklagten Daniel K. wird inzwischen gar nur noch gefährliche Körperverletzung vorgeworfen. Schon im Dezember wurde er aus der Untersuchungshaft entlassen - obwohl er zur Tatzeit noch unter Bewährung stand.
Aus Sicht der Ermittler hat sich die Tat so abgespielt: Gegen 1.30 Uhr pöbelten die beiden schwer betrunkenen Angeklagten in einem kleinen Park direkt am Leipziger Hauptbahnhof einen Freund von Kamal Kilade an. Als Kilade sich einmischt, soll Daniel K. ihm ins Gesicht geschlagen und ihn mit Reizgas besprüht haben. Kilade wehrt sich, beißt einem der Angreifer in die Augenbraue. Die prügeln weiter auf ihn ein, bis der Teenager in einem Gebüsch landet.
Klinge verletzt Nierenarterie
Dann soll Marcus E. ein Klappmesser gezückt und es Kilade unter die Rippe gerammt haben. Die 8,5 Zentimeter lange Klinge dringt tief in seinen Bauch ein, trifft die linke Niere samt Arterie und den Darm. Kamal Kilade kann sich noch in die nächste Straße schleppen, wo er schließlich zusammenbricht. Die beiden mutmaßlichen Täter nimmt die Polizei noch im Park fest.
Auch weil die Zeugen keine rechten Sprüche hörten, geht die Staatsanwaltschaft inzwischen von einem rein zufälligen Zusammentreffen aus, bei dem die Gewalt eskaliert sei - auch wegen des hohen Alkoholpegels der Angeklagten. "Hinreichende Anhaltspunkte für eine ausländerfeindliche Motivation der beiden Angeschuldigten bei der Tat haben die Ermittlungen nicht ergeben", sagt die Staatsanwaltschaft.
War es wirklich so: rechte Täter - aber keine rechte Tat?
Linke Gruppen in Leipzig wollen nicht glauben, dass Kamal Kilade aus anderen als rassistischen Gründen getötet wurde. Am Pfingstmontag zogen hunderte Demonstranten zu dem Park, in dem der junge Iraker erstochen wurde. "Es gibt Taten, bei denen es keinen ersichtlichen Grund gibt", sagt Diana Eichhorn von der Leipziger Opferberatungsstelle, die Kilades Familie betreut. "Aber in diesem Fall kann ich mir nicht vorstellen, dass die rechte Gesinnung keine Rolle gespielt haben soll."
Auch die Familie von Kamal Kilade glaubt, dass er getötet wurde, weil er Ausländer war. Er sei gestorben, "weil seine Hautfarbe einigen Menschen nicht gefiel", hieß es in der Traueranzeige der Angehörigen. "Es war kein Zufall", glaubt ein enger Freund der Familie.
Sie alle warten nun auf den am Freitag beginnenden Prozess - und hoffen, dass er die Wahrheit ans Licht bringt. Wie auch immer die aussieht.
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