piwik no script img

Topspionage als lukrativer Nebenjob

■ Heute wird das Urteil in der Spionageaffaire Conrad gefällt / US-Feldwebel soll Militärgeheimnisse an Warschauer Pakt verraten haben

Koblenz (taz) - Der Angeklagte, Clyde Lee Conrad (43), schweigt sich aus. Selbst als das Gericht ihn zur Enlastung fragt, ob er wirklich im Vietnamkrieg vierfach ausgezeichnet worden sei, bringt Conrad kein Ja über die Lippen.

Der einstige US-Sergeant First Class (US-Feldwebel) hat sich vor dem Koblenzer Oberlandesgericht zu verantworten wegen Verdacht auf Landesverrat im besonders schweren Fall an den ungarischen Geheimdienst und der Spionagetätigkeit für die Tschechoslowakei. Generalbundesanwalt Kurt Rebmann hatte erstmals in der bundesdeutschen Spionage-Geschichte die Höchststrafe gefordert: lebenslänglich. Die Verteidigung dagegen plädiert auf eine minderschwere Haftstrafe. Heute will der Koblenzer Strafsenat das Urteil verkünden.

Für die Bundesanwaltschaft steht fest: Die Affäre Conrad ist der bislang schwerste Fall von Landesverrat in der Bundesrepublik. Militärpläne „von Hannover bis nach Italien“, so ein Zeuge, habe Conrad an den Warschauer Pakt weiterverkauft. Die Papiere trugen die Vermerke Secret, Top secret oder Cosmic top secret. Darunter befanden sich Dokumente der in der Bundesrepublik stationierten V. und VII. US-Corps über einen defensiven Nuklearschlag des Westens im Verteidigungsfall. Folgt man Generalbundesanwalt Rebmann, so hätte der Osten jederzeit diese US-Standorte angreifen und ausschalten können. Die ganze europäische Verteidigung wäre dann zusammengebrochen.

Weiterhin befanden sich unter den Dokumenten auch „emergency plans“ der US-Truppen. Diese Notfallpläne greifen in Friedenszeiten, etwa bei Terroranschlägen auf US -Einrichtungen, bei Sabotageakten oder anderen Aggressionen gegen US-Truppen. Verraten wurden schließlich Dokumente der französischen Armee und der Bundeswehr.

Die Behauptungen der Ankläger zu überprüfen oder gar zu widerlegen, war nahezu unmöglich. Die Gutachter waren stets Militärs oder Beamte des US-Pentagons, deren Neutralität anzuzweifeln ist. Und nur bei einem von 25 ZeugInnen handelte es sich um einen Tatzeugen. Die Verteidigung konnte keine unabhängigen Gegengutachter zur Bemessung des Schadens bestellen. So blieb es bei einem einseitigen Indizienprozeß.

Die Verteidiger gaben in ihren Plädoyers zu bedenken, daß die Indizienkette keineswegs geschlossen sei. Ferner habe sich Ungarn für die Vorfälle ausdrücklich entschuldigt, also entstehe „heute kein Schaden mehr“. Der Koblenzer Rechtsanwalt Werner Heckel argumentierte schließlich mit „Schlampereien“ bei der 8. Infanterie-Division in Bad Kreuznach, bei der Conrad stationiert war. Wie könne es sonst möglich sein, so Hecker, daß ein Mann mit niederem Dienstgrad „ein ganzes Bündnissystem an den Rand einer militärischen Niederlage bringt“!

Die Ankläger sehen hinter Conrads Verrat nur ein Motiv: Geldgier. Mindestens zwei Millionen DM soll der Feldwebel laut Bundesanwaltschaft für seine Spionage vom ungarischen Geheimdienst kassiert haben. Einer der Zeugen sprach sogar von fünf Millionen Dollar. Dazu kamen mindestens 200.000 DM von den Tschechen. Allein: Von diesem Geld fehlt jede Spur. Zur Biographie Conrads sind nur wenige Daten bekannt. Am 28. August 1947 in Bergholz (Ohio) geboren, stieg Conrad 1965 bei der US-Army als Berufssoldat ein, und diente ein Jahr lang in Vietnam. Im September 1985 war Conrad pensioniert worden. Nach 20 Dienstjahren. Die 900-Dollar-Rente reichte gerade fürs Nötigste. Normalerweise arbeiten Ex-GIs noch nebenher, so auch Conrad. Sein Nebenjob blieb, laut Bundesanwaltschaft, die Spionage: Der GI habe noch in der Dienstzeit Dokumente gebunkert und erst nach seiner Pension verkauft.

Conrad galt zu seinen Armeezeiten als intelligent, sogar als „Stütze der 8. Infanterie-Division“. Das Vertrauen war grenzenlos. Conrad oblagen bald auch sicherheitsensible Aufgaben. Er wechselte in die Abteilung „G III: Planung, Taktik, Ausbildung“. Sein Job: die Verwaltung von Dokumenten, als „document custodian“. Conrad durfte sogar an einem Geheimcomputer „war games“ durchspielen.

Indizien gegen Conrad ergeben sich vor allem aus den Aussagen zweier Kuriere des ungarischen Geheimdienstes, die zusammen mit Conrad aufflogen. Wie aus ihren Geständnissen hervorgeht, starteten sie jeweils von Schweden aus und trafen sich mit Conrad in verschieden Städten, die Decknamen trugen: So hieß Mainz „„Maria“ und Kufstein „Kunigunde“. Kurioserweise hatte einer der Kuriere pedantisch Buch darüber geführt, wann welcher Auftrag einging. Endgültig flog Conrad auf, als er einen Agenten für die Spionage anwerben wollte: ausgerechnet einen Mann des militärischen Abschirmdienstes, der bereits auf ihn angesetzt worden war.

Auch wenn Conrad am Mittwoch verurteilt wird, ist die Spionage-Affäre noch nicht abgeschlossen. Es laufen weitere Ermittlungen, etwa gegen Conrads Amtsvorgänger und Anwerber, Szabo. Szabo hält sich derzeit in Österreich auf, wurde dort sogar bereits wegen Spionage verurteilt. Bei einem weiteren Verdächtigen haben die US-Behörden den Karlsruhern die Arbeit abgenommen: Ein Mitglied des Spionagerings ist in den USA noch auf freiem Fuß. Seine Verhaftung aber, so erfuhr die taz, stehe kurz bevor.

Joachim Weidemann

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen