Toleranz-Schiedsrichter

■ Heute palavert Bundespräsident Johannes Rau in Berlin mit 60 Jugendlichen über „Netiquette“ / Die taz fragte die beiden Bremer Delegierten nach ihren Erwartungen

Karsten Dörges (24) und Janos Beaumont (22) aus Bremen treffen heute in Berlin Bundespräsident Johannes Rau und rund 60 andere Jugendliche und junge Erwachsene aus allen Bundesländern. An einem „Round Table“ soll Johannes B. Kerner sie in einen Dialog über Fairplay im Internet verwickeln. Das Treffen unter dem Codenamen „fairlink.de“ ist der Auftakt zu einer groß angelegten Kampagne gegen „Extremismus“ im Netz. Viel schlimmer aber ist die offizielle Bezeichnung der beiden Bremer Delegierten: „Toleranz-Schiedsrichter“.

Wer jetzt an besserwisserische Spaßbremsen denkt, die bereits in der Grundschule ihre Noten dadurch aufbesserten, dass sie bei jeder Rauferei sofort „Herr Lehrer, Johannes hat das verbotene Wort mit eff gesagt“ riefen, liegt glücklicherweise falsch. „Ich habe denen gesagt, dass ich mir vorbehalte, ob ich nach diesem Treffen noch weiter mitarbeiten werde“, sagt Kars-ten, Informatikstudent und Vorsitzender des Dachverbands der Bremer Jugendorganisationen, dem Bremer Jugendring. Karsten ist skeptisch, ob bei dem ehrgeizigen Step 21-Projekt „fairlink.de“ mehr rumkommt als viel Gerede über den politisch korrekten Umgang mit dem Internet – und gute Publicity für die Hauptsponsoren von Step 21: Bertelsmann, DaimlerChrysler und Siemens.

Für den Gesprächskreis rekrutiert wurde er von der „gemeinnützigen Jugendinitiative für Toleranz und Verantwortung“ Step 21 bei der Verleihung des „Best of Bremen – Awards“, woraufhin er sich noch Janos, Zivi in der Jugendbildungsstätte „Lidicehaus“, mit ins Boot holte. Entgegen der Befürchtungen der beiden Bremer Gesandten geht es bei „fairlink.de“ laut Homepage um mehr als technische Kontrollen wie Filtersoftware. Projektleiter Philip Graf Dönhoff teilt die Ansicht von Karsten und Janos, dass dieser Ansatz zu kurz gegriffen wäre, nicht zuletzt deswegen, weil Filtersoftware weder die Netz-Inhalte noch die Einstellung der Jugendlichen verändert. Wie Karsten redet Dönhoff viel und gewandt von Medien-Kompetenzen, die die Jugendlichen befähigen sollen, zwischen gut und böse zu unterscheiden. Bei dem heutigen Treffen in Berlin tauschen die jungen Internet-Experten zunächst aus, was sie „böse“ finden. Außerdem sollen Projekte angestoßen werden, die die Jugendlichen als „Multiplikatoren“ in ihre Regionen zurücktragen und weiterentwickeln, erklärt Dönhoff.

Konkrete Vorschläge, wie die hehren Ziele von „fairlink.de“ umzusetzen sind, kann er nicht nennen und verweist darauf, dass die Jugendlichen sich nicht von „schlauen Erwachsenen“ etwas diktieren lassen, sondern „federführend“ ihre eigenen Ideen umsetzen sollen. Aber auch Karsten und Janos sind ratlos, was genau passieren muss, zumal Karsten daran zweifelt, dass es mit einer „Netiquette der Toleranz“ getan ist. „Dann brennt es halt nicht mehr im Internet, sondern an der Sielwallkreuzung“, sagt er. Für ihn ist das Internet nur ein besonders niedrigschwelliges Medium, welches den Zugang für Kinder und Jugendliche erleichtert. „Es ist dabei aber nicht besser oder schlechter als andere Medien und spiegelt auch nur den Zustand unserer Gesellschaft.“

Daher sei es vorrangig, Jugendlichen die Möglichkeit zu geben, eigene Wertvorstellungen zu entwi- ckeln, was nicht damit getan sei, medienwirksam Geld in Internet-Projekte zu pumpen. „Was sollen wieder drei PCs mehr, wenn wir Mittelkürzungen von 25 Prozent im Kinder- und Jugendbereich in Bremen haben? Wo sollen die Kids soziale Werte denn lernen, wenn bis 2005 drei Jugendverbände rausfallen?“ redet er sich in Rage. Unklar ist zurzeit auch noch, wie die regionalen Internet-Projekte finanziert werden. „Wenn ich jetzt zum Beispiel eine Veranstaltung organisieren will – wer bezahlt mir das?“ Step 21 wohl nicht, denn die fördern laut Dönhoff nur auf „ideeller Ebene“. Bei Problemen der Konzeptentwicklung könnten die Jugendlichen sich an die Step 21-„Coaches“ wie zum Beispiel Johannes B. Kerner oder Günther Jauch wenden, sagt er. Das Projekt „fairlink.de“ sei „keine große finanzielle Geschichte“, aber wenn mal ein PC fehle, könnten Sponsoren gesucht werden. ei