: Töpfers neue Super-Behörde: Das Atom-Amt
Der Transnuklear-Skandal bot Umweltminister Töpfer die Gelegenheit, eine „langgehegte Absicht zu realisieren“: die Bundesaufsicht in Atomfragen zu verstärken und abweichende Länderregierungen an die Kandare zu nehmen / Das „Bundesamt für Strahlenschutz“ wird vermutlich in Salzgitter stehen ■ Aus Bonn Charlotte Wiedemann
Umweltminister Töpfer muß in Orwells Wörterbuch für „Neusprech“ geblättert haben, bevor er seine neue Super -Behörde taufte. Im „Bundesamt für Strahlenschutz“ wird nicht etwa unbelastete Babynahrung in Fläschchen abgefüllt, sondern hier sollen ab 1989 alle Bundeskompetenzen für Atommüll, Nukleartransporte, Genehmigungen, Gutachten und Krisenmanagement bei Unfällen gebündelt werden.
„Die weitere friedliche Nutzung der Kernenergie erfordert eine Straffung der Organisation“, so begründet das Ministerium seinen Gesetzentwurf für die Einrichtung des zentralen Atom-Amts, und zwar „insbesondere“ bei Errichtung und Betrieb von Endlagern. Nach längerem Tauziehen zwischen den verschiedenen Ministerien, die Kompetenzen und Personal abgeben müssen, werden in das neue Atom-Amt jetzt folgende Behörden und Einrichtungen eingegliedert: die Abteilung „Sicherstellung und Endlagerung radioaktiver Abfälle“ der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt in Braunschweig; zwei Abteilungen des Münchener „Instituts für Strahlenhygiene“, das zum Bundesgesundheitsamt gehört; das Freiburger „Institut für Atmosphärische Radioaktivität“, bisher unter Zimmermanns Regie Teil des Zivilschutz-Amts, sowie Teile der „Gesellschaft für Reaktorsicherheit“. Obwohl Töpfer sonst Wert auf politische Optik legt, werden damit auch gleich die Geschäftsstellen der Strahlenschutzkommission (SSK) und der Reaktorsicherheitskommission (RSK) dem neuen Atom-Amt einverleibt: Diese Beratergremien der Bundesregierung verlieren damit auch den letzten Anschein von Unabhängigkeit. Von der Bündelung aller „Volzugsaufgaben“ nach dem Atomgesetz und dem Strahlenschutzvorsorgegesetz verspricht sich Töpfer einen „Integrationseffekt“ und eine „frühzeitige Abstimmung“. Konkret: Nach einem Atomunfall liegt das gesamte Krisenmanagement künftig in einer Hand. Möglicherweise erhellende Dissonanzen zwischen Zimmermann, Süssmuth und Töpfer wird es nicht mehr geben - „einheitliche Sprachregelungen“ sind gesichert. Nach Ansicht der Grünen wird die neue Super-Behörde zu noch mehr „Desinformationspolitik und Geheimniskrämerei“ führen; dies gelte vor allem für den „dicksten Brocken“ der kommenden Jahre, nämlich die ungelöste Entsorgung.
Dieses Stichwort weist in der Tat den Weg zum vermutlichen Standort des Bundesamts: Salzgitter. Die SPD-regierte Stadt drängt seit längerem darauf, für ihre Unannehmlichkeiten mit dem geplanten Endlager „Schacht Konrad“ einen strukturpolitischen Ausgleich aus Bonn zu bekommen. Um den Handel auf den Weg zu bringen, reiste im Sommer eigens eine Ratsdelegation zu Töpfer. Offiziell fällt die Standortentscheidung erst im Dezember im Kabinett, doch die Stadtverwaltung von Salzgitter ist „guter Hoffnung“, so ihr Sprecher, das von den Bonner SPD-Genossen abgelehnte Strahlen-Amt vor die eigene Haustür zu bekommen. Im Endausbau 1990 soll die Behörde 356 Mitarbeiter umfassen, davon 100 neue Stellen, mit jährlichen Kosten von über 14 Mio. Mark.
Nur vordergründig ist das Atom-Amt ein Kind des Transnuklear-Skandals. Als sich im Januar jeder fragte, wer in Bund und Ländern eigentlich für was zuständig sei, nutzte Töpfer die Gunst der Stunde, um sich für die Notwendigkeit verstärkter Bundesaufsicht die Zustimmung der Öffentlichkeit zu sichern und eine „langgehegte Absicht zu realisieren“, wie der 'Bonner Behörden-Spiegel‘ damals notierte. Zu dieser Absicht gehört auch mehr Durchsetzungsfähigkeit gegen mißliebige Landesregierungen, die aus dem früheren Atom -Konsens ausscheren. Die politische Richtung gab Töpfers Abteilungsleiter Walter Hohlefelder auf der Wintertagung des Deutschen Atomforums im Januar an: Bei der Vorstellung des neuen Bundesamts wies er ausdrücklich auf den Genehmigungsstreit um den Schnellen Brüter in Kalkar hin und meinte: „Man kann nicht bei Transnuklear die Maßnahmen der Bundesaufsicht beschwören und sie beim Schnellen Brüter als Instrument zur Entmündigung der Länder diffamieren.“ Eine direkte Beschneidung von Länderkompetenzen folgt zwar aus der gesetzlichen Regelung für das zentrale Atom-Amt nicht. Allerdings wird der Bonner Arm für ein Hauptfeld der Auseinandersetzung, nämlich den Gutachter-Streit, gestärkt. Ausdrücklich hat das Amt die Aufgabe, selbst „wissenschaftliche Forschung“ zu betreiben und das Ministerium „fachlich und wissenschaftlich in allen Angelegenheiten“ zu beraten.
Ganz nebenbei schafft das neue Gesetz für die Beschäftigten der Nuklearbetriebe ein Stück mehr Atomstaat: nämlich die Ermächtigung, per Rechtsverordnung die umstrittenen Sicherheitsüberprüfungen des Personals zu regeln. Bisher gibt es dazu nur eine Richtlinie, gegen die vor allem die Beschäftigten des Kernforschungszentrums Jülich seit langem Sturm laufen. Für den SPD-Politiker Harald Schäfer ist diese Änderung des Amtomgesetzes Töpfers „Eingeständnis, daß die Freiheitsrechte für die Kernenergie eingeschränkt werden müssen“.
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