Tödlicher Unfall: Am Ende bleiben gelbe Umrisse
Auf der Rudi-Dutschke-Straße, direkt vor dem Redaktionsgebäude der taz, wurde ein Mann von einem Bus umgefahren. Der 69-Jährige überlebte den Unfall nicht.
![](https://taz.de/picture/2216226/14/18977124.jpeg)
Die Konturen sind klar erkennbar, in gelber Farbe leuchten sie von der Straße: Ein runder Kopf, ein nur mit leichtem Strich angedeuteter Arm, der etwas grob wirkende Körper, zwei Beine, deutlich die Füße. Ein Bild wie aus einem billigen US-Polizeifilm oder wie aus einer allzu einfach geratenen politischen Aktion gegen Pelze oder Atomkraft.
Wer genauer hinschaut, erkennt noch etwas fleckiges Rot auf der Straße, mitten im Kreisrund des Kopfes. Hier auf der Rudi-Dutschke-Straße, direkt vor dem Redaktionsgebäude der taz, wurde am Dienstagvormittag kurz nach elf Uhr ein Mann von einem BVG-Bus umgefahren. Der 69-Jährige überlebte den Unfall nicht.
Am Tag danach ist als letzte Spur davon der Umriss auf dem Asphalt geblieben. Immer wieder bleiben Passanten davor stehen. Einige machen Handybilder von dem seltsamen Männchen, das die Polizei zur Spurensicherung auf die Straße gesprüht hat. Wer darüber länger nachdenkt, auf den wirkt es wie ein Mahnmal.
Viele taz-Kollegen hatten das Geschehen nach dem Unfall immer mal wieder von Bürofenstern aus verfolgt: den unendlich lange wirkenden Versuch von Sanitätern und Feuerwehr, den Mann mit immer wieder neuen Herzdruckmassagen zurückzuholen; die Befragung von Zeugen; das Vermessen des Bremswegs.
Wie leicht kann es einen selbst treffen?
Die Stimmung im Haus war merkwürdig still, leise, gedrückt, den ganzen Tag. Obwohl die taz über Unfälle dieser Art selten viel mehr als ein Wort in der Zeitung verliert. Der Tod so plötzlich, nach nur einem klitzekleinen Fehler, einer kurzen Unachtsamkeit, kam vielen zu nah. Wie leicht kann es einen selbst treffen?
Viele andere Medien berichteten darüber am Abend und am nächsten Morgen. Sie sorgten sich um die Gefährdung der Fußgänger im Allgemeinen, bevor sie zum nächsten Thema übergingen. So ist das, wenn jemand im Straßenverkehr stirbt.
Die gelbe Silhouette mitten auf der Straße ist die letzte öffentliche Spur des Mannes, der offenbar selbst an seinem Tod schuld ist. Laut ersten Ermittlungen war er einfach – „unvermittelt“, wie es in der Polizeimeldung heißt – auf die Straße gelaufen. Der Fahrer des Busses, dessen Frontscheibe zur Hälfte geborsten war, hatte wohl keine Chance, auszuweichen oder rechtzeitig zu bremsen. Nach dem Unfall saß er da, aufgelöst in Tränen.
Wie absurd wirkte eine weitere Meldung zu dem Thema, die am späten Dienstagnachmittag kam. Die Zahl der Verkehrstoten in Berlin sei in diesem Jahr bisher auffallend niedrig. Laut Polizeistatistik gab es bis einschließlich 22. August 19 Unfalltote. Um es ganz genau zu machen: acht Fußgänger, vier Radfahrer, drei Motorrad- oder Rollerfahrer und drei Autofahrer sowie ein tödlich Verletzter in der Rubrik „Sonstiges“ – wozu Lastwagen- und Busfahrer gehören.
Jeder Tote einer zu viel ist
Nur: Was sind wenige Tote angesichts dieses Horrors vor der Bürofensterscheibe? Die Zahl der Fälle in diesem Bereich schwankt jedes Jahr stark, eben weil es so wenige sind. Weil der Zufall eine zu große Rolle spielt. Eigentlich sind die Jahreszahlen kaum vergleichbar. Irgendwann fällt einem dann die Floskel ein, wonach jeder Tote einer zu viel ist.
Wie lange die gelbe Silhouette noch an den letzten Tag dieses 69-Jährigen erinnert, hängt auch vom Zufall ab. Je mehr Autos drüberrauschen, je mehr es regnet, desto schneller verblassen die Linien. Und der Unfall findet sich nur noch in der Statistik wieder.
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