Todesschwadrone in Syrien: Assads Miliz
Die Shabiha ziehen mordend, folternd und plündernd durchs Land. Die Miliz soll Gräueltaten, auch an Kindern, begehen. Einst Mafiosi, sind sie heute des Diktators treueste Schläger.
BEIRUT taz | Unbedingte Loyalität, gepaart mit maßloser Brutalität – seit den ersten Tagen des Aufstandes verbreitet eine Miliz im Auftrag des Assad-Regimes Angst und Schrecken in den syrischen Städten und Dörfern. Ihre Mitglieder werden „Shabiha“ genannt. Der Name rührt daher, dass der Mercedes 600 in Syrien früher „shabah“ genannt wurde und die gefürchteten Gangster, die diesen Wagen fuhren „shabiha“.
Als Ende Mai bei einem Massaker in dem Dorf Hula 109 Menschen starben, fiel ein Schlaglicht darauf, welche Schlüsselrolle diese undurchsichtige paramilitärische Einheit inzwischen im Kampf gegen die Aufständischen spielt.
Berichten von Anwohnern zufolge sollen Shabiha von Haus zu Haus gezogen sein und die meisten der Todesopfer regelrecht hingerichtet haben. Eindeutig belegen lassen sich diese Angaben bisher nicht. Doch ein Team von UN-Beobachtern hat vor Ort „starke Hinweise“ festgestellt, die auf die Schuld der regimetreuen Schlägertrupps an der Bluttat deuten.
„Shabiha stehen über dem Gesetz. Sie haben freie Hand, zu töten, zu stehlen und zu foltern, ohne dass sie irgendwer zur Rechenschaft zieht“, sagt der Menschenrechtler Wissam Tarif vom Kampagnen-Netzwerk Avaaz.„Wirklich beängstigend ist, dass ihre Gewalttätigkeit derzeit immer neue Ausmaße annimmt.“
Die Männer fürs Schmutzige
Die von der UN vorgelegte aktuelle „Liste der Schande“ beinhaltet Länder, in denen schwere Vergehen gegen Kinder geschehen. Untersuchungszeitraum ist 2011.
32 Länder sind aufgelistet, davon drei Länder neu: Sudan, Jemen und Syrien. Jungen und Mädchen würden im Zuge der bewaffneten Auseinandersetzungen getötet, gefoltert, verstümmelt und sexuell missbraucht. Auch werden sie als menschliche Schutzschilde sowie teils unwissend als Selbstmordattentäter missbraucht.
Täter seien vor allem die Syrische Armee und die Shabiha-Miliz, sagt Radhika Coomaraswamy, Leiterin der Untersuchungskommission. „Wir sind geschockt“, sagte sie, „diese Art von Kinderfolter, von teils 10-jährigen Kindern, ist außergewöhnlich, so etwas sehen wir anderswo nicht.“
Die Milizionäre gelten als Todesschwadronen, als Männer fürs Schmutzige. Rekrutiert werden sie überwiegend aus der alawitischen Minderheit, der auch der Assad-Clan selbst angehört. Ebenso wie die Herrscherfamilie stammen die meisten von ihnen aus der ärmlichen Bergregion nahe der Hafenstadt Lattakia.
Die Miliz ist aus einem mafiösen Netzwerk hervorgegangen, das seit den späten 70er Jahren an der Küste mit Schmuggel, Schutzgelderpressung und Drogenhandel von sich reden machte. Das Regime protegierte die Banden und nahm sie zugleich als eine Art persönlichen Stoßtrupp in Dienst, auf dessen unbedingte Treue Verlass ist.
„Wir kennen diese Leute seit Langem. In den 80er Jahren rasten sie häufig in Konvois aus schwarzen Mercedes-Limousinen ohne Nummernschilder durch die Stadt“, sagt Ahmed, ein Aktivist aus Lattakia.
„Niemand hätte es gewagt, sich ihnen entgegenzustellen.“ Nach dem Amtsantritt von Präsident Baschar al-Assad im Jahr 2000 verschwanden sie weitgehend von der Bildfläche. Erst als vor rund 15 Monaten die Proteste ausbrachen, tauchten sie plötzlich wieder auf.
Geschorene Köpfe, gewaltige Muskeln
Shabiha sind leicht zu erkennen, sagt Ahmed: „Ihre Köpfe sind geschoren, ihre Bärte lang und buschig. Oft haben sie gewaltige Muskeln und lassen sich das Gesicht von Baschar al-Assad auf die Oberarme tätowieren.“
Ahmed kennt einige der Männer, die sich dem Trupp angeschlossen haben. „Das sind Typen, die nicht genug im Kopf haben, um einen klaren Gedanken zu fassen“, sagt er.
„Sie sind nur dazu gut, Weisungen zu folgen. Das ist ein Kriterium, nach dem sie ausgewählt werden.“ Beobachtern zufolge nehmen sie Befehle direkt von Mitgliedern des Assad-Clans entgegen. Zu ihren Führern sollen Präsident Assads Cousins Fawas und Munsir zählen.
Die EU hat beide wegen ihrer Verstrickung in die Miliz mit Sanktionen belegt. In den vergangenen Monaten sollen große Mengen zusätzlicher Shabiha angeheuert worden sein. Doch es ist unklar, wie viele Männer die Einheit umfasst. Die Schätzungen bewegen sich zwischen 6.000 und 30.000.
Internet-Videos
Im Internet kursieren Amateurvideos, die die Brutalität der Einheit zu dokumentieren scheinen. Offenbar haben die Shabiha selbst viele der Filme mit ihren Handykameras aufgenommen. Einer zeigt eine Gruppe von Männern, die zwischen einem Dutzend blutiger Leichen steht.
Sie treten mit den Füßen gegen die leblosen Körper. Ob die Aufnahme, die aus der nördlichen Provinz Idlib stammen soll, authentisch ist, kann derzeit nicht geprüft werden.
„Die Funktion der Shabiha besteht darin, das Militär zu komplementieren“, erklärt Mousab al-Hamadee, ein Aktivist aus der Provinz Hama. „Zuerst bombardiert die Armee die Ortschaften und ebnet damit den Weg, dann stürmen Shabiha die Siedlungen.“
Zwar erhalten die Milizionäre einen täglichen Lohn in unbekannter Höhe. Darüber hinaus haben sie einen Freibrief, die Häuser in den aufständischen Vierteln zu plündern und mitzunehmen, was auch immer sie finden, sagt der Aktivist: „Der wirtschaftliche Aspekt ist sicher eine starke Motivation.“
Rache der Sunniten
Hinzu kommt, dass die Shabiha auch für ihr eigenes Überleben kämpfen: Die Alawiten machen zwar nur 12 Prozent der Bevölkerung aus, doch sie dominieren die Führungsebenen des Sicherheitsapparats. Daher muss die Minderheit die Rache der Sunniten fürchten. Bereits jetzt mehren sich Berichte von Vergeltungsmorden, die Rebellen an alawitischen Zivilisten verüben.
„Das Regime hat sein Bestes getan, um den Alawiten zu verstehen zu geben, dass sie alle umgebracht werden, wenn Baschar al-Assad stürzt“, sagt al-Hamadee. „Deswegen haben sie sich in diesen konfessionellen Konflikt treiben lassen.“
Das Regime weiß, die privaten Killerkommandos für seine Zwecke zu nutzen: Da die Shabiha keine staatlichen Sicherheitskräfte sind, fällt es schwerer, Damaskus die Verantwortung für die Gräueltaten der Einheit nachzuweisen.
Blutige Loyalität
Noch wichtiger aber dürfte sein, dass das Regime voll und ganz auf den Gehorsam der Milizionäre zählen kann. Das ist bei der Armee nicht unbedingt der Fall: Tausende von Soldaten sollen inzwischen zur Opposition übergelaufen sein. Auch vor diesem Hintergrund gewinnt die Miliz an Bedeutung: Inzwischen, sagen Aktivisten in verschiedenen Städten, geben die Shabiha den Streitkräften Befehle und wachen darüber, dass sie ausgeführt werden.
„Es ist, als hätte man sie einer Gehirnwäsche unterzogen. Sie halten Baschar al-Assad für eine Art Gott auf Erden“, sagt ein Deserteur, der sich Mohammed al-Sakareb nennt. Der frühere Rekrut aus Idlib kämpft seit einigen Monaten auf Seiten der Rebellen und hält sich derzeit in der Südtürkei auf.
„Das Regime hat sie mit allen möglichen Waffen ausgerüstet und lässt sie zusammen mit der Armee aufmarschieren, um die Truppen zu kontrollieren“, sagt er. „Ihre Aufgabe ist nicht nur, die Protestierenden zu töten, sondern auch alle Soldaten, die den Schießbefehl verweigern.“
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