piwik no script img

Todesschuß per Gesetz

■ Der „finale Rettungsschuß“ ist ein Wegbereiter mit Langzeiteffekt

Wenn Anfang August der Prozeß um das „Gladbecker Geiseldrama“ medienwirksam eröffnet wird, dann kann die Bundesregierung Handlungsbereitschaft demonstrieren. Was nämlich die meisten Bundesländer für ihre Polizei strikt ablehnen, will der Bund nun seinen eigenen bewaffneten Mannen per Gesetz gestatten: Bundesgrenzschutz, Sicherungsgruppe Bonn oder Bahnpolizei sollen in Zukunft nicht nur einen Freibrief, sondern sogar einen gesetzlichen Auftrag zum gezielten Todesschuß bekommen. Dieses Denken in polizeilichen Rache- und Django-kategorien ist es, das den jetzt vorliegenden Gesetzentwurf aus Bonn brisant macht.

In der alltäglichen Praxis kann und wird der Vorstoß aus dem Innenministerium keine sichtbaren Auswirkungen haben. Denn nach wie vor sind Polizeieinsätze Sache der Länder, und die lehnen den jetzt wieder in die Diskussion gebrachten „finalen Todesschuß“ ab. Und der Bundesgrenzschutz oder gar die Bahnpolizei werden auch in nächster Zukunft nicht auf der Matte stehen, wenn in Wildeshausen ein Tankwart als Geisel genommen wird oder in Recklingshausen ein Desperado die Belegschaft eines Supermarkts bedroht. So gesehen könnte man den Bonner Entwurf getrost zu den Akten legen. Nur auch überflüssige Gesetze können das Denken verändern; das Denken an den Stammtischen, an denen schon jetzt nach spektakulären Verbrechen „Kopf ab!„-Rufe die Runde machen, und das Denken in Polizistenköpfen, die nach Argumenten suchen, wenn der Finger am Pistolenabzug längst „kurzen Prozeß“ fordert. Das geplante Bundesgesetz macht das gezielte Töten von Staats wegen ein Stück mehr gesellschaftsfähig, und es liefert den einzelnen Bundesländern, die zur Zeit eine Novellierung ihrer Polizeigesetze diskutieren, unmißverständliche Vorgaben.

Noch ein anderer Aspekt gibt dem so überflüssig erscheinenden Gesetz eine Brisanz: Seit geraumer Zeit wachsen im Bundesinnenministerium die Begehrlichkeiten, dem Bundesgrenzschutz mehr Kompetenzen zuzuschreiben und ihn zu einer Art Bundespolizei auszubauen. Diese Pläne sind zwar noch Zukunftsmusik und werden zahlreiche verfassungsrechtliche und parlamentarischen Hürden zu überspringen haben.

Wer immer aber die Vision einer solchen Bundespolizei im Kopf hat, könnte nichts Klügeres tun, als deren gesetzliche Befugnisse zu einem Zeitpunkt festzulegen, wo niemand ihre Gefahr durchschaut. Vera Gasero

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen