Tod in der Trostmaschine

■ „Und vor mir die Sterne“: Ein Dokumentarfilm über den Wildeshausener Schlagerstar Renate Kern. Die taz sprach mit den RegisseurInnen

Renate Kern, Schlagersängerin aus Wildeshausen, hatte in den 60er Jahren Hits wie „Du mußt mit den Wimpern klimpern“, versuchte in den 80ern ein Comeback als die deutsche Countrysängerin Nancy Wood, blieb aber im Grunde immer in der niedersächsischen Provinz stecken und nahm sich 1991 bei Delmenhorst das Leben. Kollegen, Fans und Verwandte erzählen von ihrem Auf- und Abstieg, und dabei entsteht ein sehr genaues und exemplarisches Bild von einer Frau, die zwar das Talent, aber nicht das dicke Fell hatte, um im deutschen Showgeschäft zu überleben

taz: Man merkt Ihrem Film ja an, daß Sie beide nicht unbedingt zu den Freunden des deutschen Schlagers zählen. Was reizte Sie an dieser Geschichte?

Michael Loeken: Wir hatten vorher nichts mit Schlagern zu tun, und haben uns höchstens mal darüber lustig gemacht. Es begann mit dieser kleinen Zeitungsmeldung, daß sich die Sängerin von Liedern wie „Lieber mal weinen im Glück“ oder „Alle Blumen brauche Liebe“ in ihrem Haus aufgehängt hat. Dieser Gegensatz hat uns interessiert, und davon ausgehend haben wir begonnen zu recherchieren. Wir wollten die Leute kennenlernen, die das singen, und die Leute, die das hören.

Der Film öffnet sich ja dann sehr weit, und nimmt das Portrait von Renate Kern zum Anlaß, die ganze Schlagerszene von damals und auch von heute zu beleuchten. Wie kam es zu diesem Panoramablick?

Ulrike Franke: Wir glauben, daß ausgehend von diesem Schicksal und dieser Musik Rückschlüsse auf die Befindlichkeit der Nation möglich sind. Wir waren fast versucht, Renate Kern als die Verkörperung des Landes darzustellen, weil an ihr so vieles deutlich wird. Aber das ist total gefährlich, wirkt schnell zu aufgeblasen und kann zu leicht in eine Art von Mißhandlung dieser Frau ausarten, die sich vor ein paar Jahren das Leben genommen hat.

Loeken: Ich hätte vorher nie für möglich gehalten, daß solch ein immenser Bedarf nach dieser Musik besteht. Und solche Sätze im Radio wie „Und jetzt ein wenig Musik, die Euch über den Alltag weghift“ höre ich jetzt mit ganz anderen Ohren. Die Schlager sind ein fester Bestandteil dieses Landes, der gebraucht und von den Hörern sehr ernst genommen wird. Das Land hat nicht nur den Kanzler, sondern auch die Musik die es verdient.

Franke: Das ist eine gut funktionierende und lange erprobte Trostmaschine, und ich weiß nicht, was in diesem Land los wäre, wenn es die Schlager nicht gäbe. Das Interessante an Renate Kern ist ja der Kontrast zwischen dieser Illusion und der Realität. Zum einen war da diese kitschige Bühnenwelt, und zum anderen hat sie sich in Wildeshausen eingemauert. Sie versuchte mit großer Anstrengung ihre Identität zu finden: geboren ist sie als Renate Poggensee, verheiratet hieß sie dann Hildebrand, auf der Bühne war sie zuerst Renate Kern und dann Nancy Wood. In den verschiedenen Rollen erkennt man sie oft kaum wieder. Es wird deutlich, wie sehr sie kämpfen muß, und dann scheitert sie.

Warum sie sich schließlich umgebracht hat, sagen Sie ja nicht. Warum haben Sie das Ende so unklar gelassen?

Franke: Eine endgültige Antwort kann es bei einem Selbstmord gar nicht geben. Wir hatten zwar noch Material darüber, wieviele Millionen Schulden sie hatte, in welche Sekte sie eingetreten war, oder wie es um ihre Ehe stand, aber wir wollten die Geschichte lieber mit filmischen Mitteln erzählen. Wir liefern Einsichten, aus denen jeder seine eigenen Rückschlüsse ziehen kann, ohne daß wir zu konkret werden.

Es fällt auf, daß alle Fans von Renate Kern, die in ihrem Film zu sehen sind, aus den neuen Bundesländern kommen. Wie erklären Sie sich dies?

Loeken: Zum Teil ist das Zufall. Diese Fans waren einfach die Besten aus einer ganzen Reihe. Aber Renate Kern hatte auch eine riesige Anhängerschaft in der DDR.

Franke: Mit ihrem Comeback-Versuch als Nancy Wood feierte sie in der DDR viel größere Erfolge als in der BRD. Da gab es eine riesige Country-Gemeinde, und für die gab sie sich mit dem passenden Akzent wie eine Amerikanerin. Als die Mauer dann fiel, ist sofort ihre Identität aufgeflogen, ihre großen Hoffnungen waren wieder einmal dahin, denn jetzt konnte jeder aus der DDR selber nach Nashville fliegen.

Renate Kern als Opfer der Wiedervereinigung. Schade, daß das nicht auch in dem Film erzählt wird.

Franke: Finde ich auch, aber wir hatten noch viel anderes gutes Material, für das in den knapp 90 Filmminuten auch keine Zeit mehr war. Das hat beim Schneiden oft weh getan. Wilfried Hippen

„Und vor mir die Sterne“ läuft ab Donnerstag täglich im City