Tobias Sommer über Literatur: „Man darf keine Routine kriegen“

Der Bad Segeberger Autor Tobias Sommer ist ein Exot im Literaturbetrieb. Nun ist er beim Bachmann-Wettbewerb eingeladen

Tobias Sommer ist mit der Einladung zum Bachmann-Wettbewerb am Ziel seiner Träume. Bild: Miguel Ferraz

taz: Was haben Sie für Gefühle, wenn Sie an Klagenfurt denken, Herr Sommer?

Tobias Sommer: Auf der einen Seite freue ich mich riesig darauf, weil es dort auf Literatur konzentriert ist, da sind ganz viele Gleichgesinnte. Auf der anderen Seite bin ich langsam ein bisschen aufgeregt, weil man nicht weiß, wie der Text angenommen wird. Es werden ja jedes Jahr Leute zerrissen, man muss also kritikfähig sein und ich hoffe, dass ich das bin.

Haben Sie Erfahrung damit?

2008 war ich für den Christine-Lavant-Preis nominiert. Da war es genau so: Man hat den Text vorgetragen, drei Leute haben danach diskutiert und dann wurde abgestimmt. Da waren die Voraussetzungen allerdings anders: Ich war als Newcomer dort, habe mir gar nichts ausgerechnet und war froh, dass ich den Text – es waren Gedichte – einigermaßen stolperfrei rübergekriegt habe. Jetzt würde ich mich freuen, wenn ein bisschen Lob käme.

Wie dick ist Ihre Haut gegenüber Kritik?

Das Problem ist, dass die Testleser, die man hat, meist Autorenkollegen oder Leute aus der Familie sind und da kriegt man häufig Lob – aber da gibt es einen Freundschaftsbonus. Ich bin ganz froh, wenn die Leute nicht zu sehr loben, weil ich dann zu selbstsicher werde und denke: Beim nächsten Mal schreibe ich ein bisschen schneller. Wenn Kritik kommt, dann bin ich konzentriert und arbeite länger an dem Text. Aber wenn es richtig auf die Mütze gibt, jedes Jahr gibt es ja eine öffentliche Hinrichtung, dann muss ich mal schauen.

Wie dornig war der Weg zu Ihrem ersten Verlag?

Es gab eine Phase, wo ich merkte: Da kommt kein großer oder mittlerer Verlag, da ist man natürlich frustriert. Auf der anderen Seite habe ich gemerkt: Es ist genau das Ding, das ich machen möchte. Also musste ich weitermachen. Irgendwann kam dann der Septime Verlag. Der hatte in einer Zeitschrift Werbung geschaltet, ich habe ein Exposé hingeschickt und gleich am nächsten Tag rief er an.

35, ist Autor und hauptberuflich Finanzbeamter in Bad Segeberg. Seine Romane "Dritte Haut" und "Edens Garten" sind im Septime Verlag erschienen. Ab Mittwoch ist er bei den 28. Tagen der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt, um dort für den Bachmann-Preis wettzulesen.

Gab es eine Zeit, in der Sie dachten: „Hauptsache, ich schreibe und wenn es niemand veröffentlicht, dann eben nicht.“?

Ich finde es eher umgekehrt: Wenn man einen Verlag hat, der hinter einem steht, kann man frei ausschreiben. Sonst hat man doch im Hinterkopf, wie man es am besten macht, um doch bei einem Verlag zu landen. Mein erstes Buch zum Beispiel ist sehr experimentell, ich bin zufrieden damit, aber viele sagen, dass es schwer zu lesen sei. Wenn nicht der Septime Verlag gekommen wäre, wer weiß, vielleicht hätte ich es doch noch umgeschrieben.

Sie haben das Glück, als Finanzbeamter nicht vom Schreiben leben zu müssen.

Das habe ich jetzt auch festgestellt. Letztes Jahr habe ich den Literatur-Förderpreis der Stadt Hamburg bekommen und da waren einige wirklich Bekannte dabei, unter anderem Stefan Beuse, der immer eines meiner Vorbilder war. Die Autoren müssen teilweise ganz schön kämpfen.

Kämpfen Sie stattdessen um Zeit, um zu schreiben?

Das ist natürlich ein Riesenproblem. Aber wenn man weiß, dass man wenig hat, nutzt man sie intensiver. Ich habe jetzt meinen dritten Roman abgeschlossen und bastle im Hinterkopf am vierten. Man wird ein bisschen schneller. Man darf nicht Routine kriegen, das würde man beim Lesen merken, aber man ist strukturierter.

Sitzen Sie Thomas-Mann-artig jeden Abend geordnet zwischen neun und elf am Schreibtisch?

Da gibt es einen anderen Faktor, der in die Ordnung reinspricht (Sommer zeigt auf seine Tochter). Ich setze mir das Ziel, dass ich jeden Monat eine bestimmte Seitenzahl schreibe. Eigentlich ist das albern, meistens hält man es nicht ein. Manchmal ist es weniger, mal mehr.

Wie viele Seiten sind es laut Plan?

20 bis 30.

Sind Sie ein Überarbeiter?

Auf jeden Fall. Ich will ein Arbeitsergebnis haben, deswegen schreibe ich weiter, selbst wenn ich nicht weiterkomme.

Wo waren die Anfänge Ihres Schreibens?

Ich habe als Kind viel gelesen, mich auch für Kunst interessiert, aber angefangen zu schreiben habe ich relativ spät – erst nach der Ausbildung. Irgendwann habe ich ein Gedicht geschrieben und es an eine Literaturzeitschrift geschickt und es wurde gedruckt. Da habe ich Blut geleckt, immer mehr geschrieben, an Zeitschriften geschickt und an Wettbewerben teilgenommen. Die anfänglichen Zweifel, ob ich da als Quereinsteiger überhaupt eine Chance hätte, wurden immer weniger.

Hatten die Texte schon Ähnlichkeit mit Ihren heutigen?

Die Lyrik würde ich heute nicht mehr zum Druck freigeben. Die Kurzgeschichten würde ich heute wohl anders schreiben, aber von der Thematik würde ich das heute noch aufgreifen: Liebes und Beziehungsgeschichten, Sinnsuche.

Sie lebten damals wie heute in Bad Segeberg. Hatten Sie je Sehnsucht, die Stadt zu verlassen?

Als Jugendlicher wollte ich schon in die Großstadt. Mittlerweile ist es überhaupt nicht mehr so, ich fühle mich in dieser dorfähnlichen Stadt sehr wohl.

Was steht am Anfang, wenn Sie schreiben: eine Figur, ein Ereignis, eine Stimmung?

Bei „Edens Garten“ war es das Thema Überwachen. Ich habe einmal einen Film gesehen, in dem jemand sich selbst im Fernsehen sah und nicht gewusst hatte, dass er aufgenommen wurde. Ich überlege ständig, was ich als nächstes schreiben könnte, ich habe immer Notizbücher dabei. Bei „Dritte Haut“ waren es zunächst einzelne Erzählungen und als ich überlegte, wie ich sie verbinden könnte, meinte meine Freundin: „Lass es doch im Hotel spielen.“ Ich wollte, dass es eine Figur ist, die möglichst weit weg von mir ist, anders abgedreht, bei der ich viele Freiheiten habe.

Was bedeutet das Schreiben?

Es ist ein Ausgleich. Selbstverwirklichung hört sich immer total blöd an. Beim Schreiben kann ich Selbstvertrauen tanken. Beim Finanzamt mache ich meine Arbeit, ich mache sie ordentlich, aber ich kann da nicht sagen: Das habe ich gemacht. Bei einem Buch kann ich sagen: Daran habe ich zwei Jahre gearbeitet, dazu stehe ich, das ist mein Buch.

Den Text, den Sie in Klagenfurt lesen werden, verdanken Sie in gewisser Weise dem Finanzamt.

Es ist der erste Text von mir, der sich direkt und indirekt mit dem Finanzamt beschäftigt. Für Klagenfurt habe ich diesen Schritt gewagt.

Warum?

Ich kann mich nicht erinnern, bei einem Wettbewerb von diesem Thema gehört zu haben – da dachte ich, dass es etwas dafür sein könnte. Seitdem ich schreibe, ist auch der Wunsch da, in Klagenfurt einmal mitzumachen.

Sie sind dort ein Exot: kommen nicht aus der Großstadt, gehören nicht zum Kulturbetrieb. Sind Sie froh über diesen Außenseiterstatus?

Als ich anfing, dachte ich: Genau deswegen habe ich keine Chance. Jetzt habe ich das umgekehrte Gefühl: Deswegen bin ich interessant. Aber im Endeffekt glaube ich, und so soll es ja auch sein, zählt der Text.

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