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Titten raus!

1979: Der Mai ist gekommen, die Phantasien schlagen zu. In der taz wird die erste „Sexismus“-Debatte ausgetragen. Der Grund: Zu einem eher unspektakulären Konzert des Jazzer-Trommlers Alphonse Mouzon fallen dem Autor Hans Dieter Grünfeld Bilder des Grauens ein: Titten. Die hätte sein Nebenmann gern außerhalb der T-Shirts wippen sehen. Und Arno Widmann hat die ungebremste Rede ins Blatt gehievt. Auf Seite 2, „Aktuelles“.

Schon tags darauf distanziert sich Gitti Hentschel, ebenfalls Redakteurin, vom Sexismus im Sensationsgewand ihres Kollegen. Eine Woche später erscheint eine ganze Debattenseite mit Leserbriefen: Detlef Burger hat erst hinterher gemerkt, „auf was für 'ne Sauerei ich da abgefahren bin“; Beate möchte nicht erniedrigt werden, „so wie es jedes miese Pomadenblättchen tut“. Nur Wolfgang findet „das Wort TITTEN so schlimm nicht“. Mehr Frauenthemen wünschen sich ansonsten alle.

1996: Nach diversen Stimmungswechseln, ob der Busen in einen BH, unter den Wollpulli oder ins Blatt gehört, werden Arnos fromme Wünsche woanders wahr. Im Zeit-Feuilleton, dem er mittlerweile vorsteht, träumt er von Menschen, die sich unter den Augen eines herzhüpfenden Kolumnenschreibers nackt in Schwimmbädern lieben. In der taz wird weiter gestritten: Als Courbets „L'origine du monde“ mit dem Gemälde einer wohlbehaarten Scham neben den Mösen-Fotos von Zoe Leonhard abgebildet wird, zürnen die LeserInnen mit dem Autor, der nichts im Kopf habe als „plumpes Einseifgelaber für den schlichten geilen Schocker“.

2013: Arno W. ist Mitherausgeber der Zeit und geht weiterhin gern in Hamburg an der Binnenalster promenieren, wenn im Sommer dort die Nackten beieinanderliegen. In der taz erscheint eine Extra-Beilage über „Urlaub im Internet“ mit dem Foto diverser sonnenbadender Morphing-Wesen, die oben ohne am virtuellen Strand braten. Brüste sind auf dem Bild nicht zu sehen. Menschen auch nicht. Ärger gibt es trotzdem. „Auch wenn Ihr Eure sexistischen Phantasien als Cyberspace tarnt, wissen wir, was gemeint ist mit den widerlichen Wichsvorlagen.“

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