Titelkampf in der Fußball-Bundesliga: Fußball, paradox
Im Spitzenspiel der Männerbundesliga zerlegt Leverkusen die Bayern nach allen Regeln der Kunst – und kommt trotzdem über ein 0:0 nicht hinaus.
Es war die 78. Minute, als einen die Ahnung beschlich, Bayer Leverkusen könnte in dieser Partie tatsächlich nur Remis spielen: Da schlug Jeremie Frimpong eine krumme Flanke über Neuers Tor und legte anschließend die Hände vors Gesicht. Dieser Anflug von Genervtheit war ungewöhnlich, weil Leverkusen bis dahin gegen die Bayern ein so selbstbewusstes wie brillantes Spiel abgeliefert hatte.
Mit enorm hohem Pressing und schwindelerregend schnellen Flachpasskombinationen hatten sie die Bayern regelrecht an die Wand gespielt und dabei alles gezeigt, was dem Rekordmeister selbst immer wieder fehlte: Tiefe, Kreativität, Überraschung.
Oft reichten zwei Steilpasskombinationen über den herausragenden Wirtz, über Grimaldo, Hincapié oder eben Frimpong, um die Bayernabwehr auszuhebeln. Zweimal rettete die Latte, einmal Ito auf der Linie, immer wieder Neuer. Es war nicht so sehr ein Spitzenspiel als vielmehr eine Demontage erschreckend hilfloser Münchner, die von Bayer im Mann gegen Mann über den halben Platz verfolgt wurden und kein Mittel fanden.
Seit Beginn der Statistiken ist es wohl keinem Team in der Liga gelungen, den Rekordmeister derart zu deklassieren, er kam kaum über die Mittellinie. Offen bleibt, über wen das mehr aussagt: Leverkusens taktische Meisterleistung oder Bayerns Verwundbarkeit.
Schlinge zieht sich zu
Alonsos Team trat mit dem Selbstverständnis eines Meisters auf: Ruhig zog man die Schlinge immer enger, in dem Wissen, dass irgendwann ein Treffer fällt. Und in 99 von 100 Variationen dieses Abends gewann Bayer Leverkusen. Allein, sie gewannen nicht. Die Partie endete 0:0. In der Mixed Zone wusste Jonathan Tah nicht so recht, was er nun fühlen sollte. Tah selbst hatte großen Anteil am dominanten Auftritt, indem er Jamal Musiala völlig aus dem Spiel nahm. „Wir müssen das Spiel ganz klar gewinnen.
Auf der einen Seite ärgert es uns, auf der anderen Seite sind wir extrem stolz auf diese Leistung“, sagte er. Wer gezweifelt hatte, sah spätestens an diesem Abend, dass am Rhein auch mittelfristig ein Bayernrivale erwächst – jedenfalls, solange der kriselnde Bayer-Konzern es finanzieren will, also auch eine mögliche weitere Saison mit Alonso und Wirtz. Für viele neutrale Fans bedeutet die Wahl zwischen den verhassten Bayern und dem Investorenklub am Autobahnkreuz freilich eine zwischen Pest und Cholera.
Es war aber auch eine Offenbarung, wie wenig Antworten die Münchner fanden. „Es hat nicht alles so geklappt, wie wir uns das vorgestellt haben“, sagte ein konsternierter Aleks Pavlović. „Es war sehr schwer, rauszukommen. Wir hatten nicht so viele Ideen.“ Und: „Eigentlich wollten wir das Spiel machen.“ Warum Leverkusen sich trotzdem nicht belohnen konnte? Weil Upamecano und Kim in der Innenverteidigung ein großes Spiel machten. Weil die Bayern streckenweise zumindest leidenschaftlich im Kollektiv verteidigten.
Weil Leverkusen nicht zum ersten Mal in dieser Spielzeit zu fahrlässig mit einem eigentlich sicheren Spiel umging. Und weil Fußball halt so ist. Früher nannte man das Bayern-Dusel. Ein bisschen absurd war das nachher, als der mögliche Meister wie ein verdroschener Hund dastand, aber mit acht Punkten Vorsprung zugleich halb den Titel klarmachte.
Obwohl der FC Bayern München diese Saison oft wackelt, in der Spielanlage schwächer ist als der Rivale vom Rhein und nach Kimmichs Aussage „kein Spitzenteam“ ist, liegt Leverkusen nun fast außer Schlagdistanz. Alonsos Team hat die Meisterschaft nicht in dieser Partie verloren – sondern in der Schwächephase im Oktober und November, als man viel zu oft Remis spielte und gegen eigentlich unterlegene Gegner defensiv zu chaotisch agierte.
In der Gesamtschau aber wirkt Bayer extrem gefestigt, taktisch noch reifer als mit dem Hurra-Stil des vorigen Jahres. Vor einem möglichen Champions-League-Duell der beiden besten deutschen Teams muss die Elf keinen Bammel haben.
Am Ende blieben gemischte Gefühle auf allen Seiten. Den Titeltraum hat Leverkusen zumindest offiziell nicht begraben. Vincent Kompany gab sich indes ungewohnt knapp, verwies immer wieder auf die vielen Bayerntore in der Saison, die fehlende Frische durch das Spiel in Glasgow, die gute Defensivleistung. Als wolle er belegen, dass man nicht zufällig oben an der Spitze steht. Acht Punkte Vorsprung im Februar, das ist in 99 von 100 Szenarien ein Meistertitel für Bayern. Aber nicht in 100. Und ob die Tabelle die Wahrheit sagt, wer Deutschlands Spitzenteam ist, dahinter setzte Bayer Leverkusen am Samstag ein großes Fragezeichen.
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