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Timoschenko-Prozess verschobenUkrainisches Gericht setzt auf Zeit

Die Hoffnung auf eine Freilassung der Oppositionsführerin läuft erneut ins Leere. Ein Gericht in Kiew will das Urteil gegen die Politikerin erst gegen Ende der Fußball-EM prüfen.

Die litauische Präsidentin Dalia Grybauskaite besuchte vergangene Woche Julia Timoschenko im Krankenhaus in Kharkov. Bild: dapd

KIEW dpa | Im Fall der inhaftierten ukrainischen Ex-Regierungschefin Julia Timoschenko (51) hat ein Gericht in Kiew die Prüfung des Urteils auf den 26. Juni verschoben. Kurz nach Beginn der Verhandlung am Dienstag setzte die höchstrichterliche Instanz einen neuen Termin an, nachdem die Staatsanwaltschaft wegen Abwesenheit der erkrankten Oppositionsführerin dies beantragt hatte.

Die Verteidigung von Timoschenko warf der Justiz vor, angesichts politischer Drohungen der EU vor der Fußball-Europameisterschaft im Juni auf Zeit zu spielen. Mehrere westliche Politiker hatten angekündigt, der Ex-Sowjetrepublik wegen des umstrittenen Umgangs mit Timoschenko fernzubleiben. Auch die EU-Kommission hatte geschlossen einen Reiseverzicht zur Euro 2012 erklärt.

Timoschenko will unter Berufung auf Verfahrensmängel erreichen, dass die im Oktober 2011 verhängte siebenjährige Haftstrafe wegen Amtsmissbrauchs aufgehoben wird.

Die 51-Jährige wird seit einigen Tagen im Beisein eines deutschen Arztes in einer Klinik außerhalb des Straflagers in Charkow behandelt. Nach einem Hungerstreik habe sich ihr Zustand dank der Therapie gebessert, teilten die Behörden mit.

Der ukrainische Regierungschef Nikolai Asarow wurde am Dienstag in Brüssel zu politischen Gesprächen erwartet. Er hatte allerdings mehrfach den Westen davor gewarnt, sich in die inneren Angelegenheiten des Landes einzumischen.

Der Anwalt Timoschenkos, Sergej Wlassenko, kündigte an, das höchstrichterliche Urteil in Kiew nicht abzuwarten. Er werde den Fall nun direkt vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg bringen. Die Straßburger Richter können allerdings nur prüfen, ob die Rechte der Politikerin eingehalten wurden.

Freilassung gefordert

Eine Freilassung Timoschenkos, wie sie international gefordert wird, noch vor der gemeinsam mit Polen ausgetragenen Euro 2012 galt angesichts der neuen Entwicklung als ausgeschlossen. Der neue Termin gebe aber auch Zeit für das Studium zusätzlicher Unterlagen, sagte Richter Stanislaw Mischtschenko nach Angaben der Agentur Interfax.

Der Prozess hatte unter scharfen Sicherheitsvorkehrungen begonnen, weil Anhänger Timoschenkos vor dem Gerichtsgebäude die Freiheit für die Politikerin forderten. Die EU und die USA haben das Verfahren als politisch motiviert kritisiert und Timoschenkos Freilassung gefordert.

Bei dem Prozess geht es um Gasverträge, die Timoschenko 2009 mit Russland geschlossen hat – angeblich zum Nachteil der Ukraine. Der ukrainische Präsident Viktor Janukowitsch, Erzfeind Timoschenkos, sollte noch am Dienstag mit Kremlchef Wladimir Putin in Moskau zusammentreffen, um auch über neue Gaspreise zu sprechen.

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5 Kommentare

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  • GG
    Grobian Gans

    Ein ukrainischer Kollege von mir ist der festen Überzeugung, dass es sich bei den beiden Ikonen der orangenen Revolution ebenso wie bei ihrem Widersacher nur um Schurken handelt, die sich schamlos an der Bevölkerung der Ukraine bereichern. Mit Demokratie habe der Politikbetrieb in der Ukraine seit deren Staatsgründung nie etwas zu tun gehabt, es ging immer nur um die Aufteilung von Macht und Pfründen zwischen verschiedenen Oligarchenclans und um die Frage, ob die USA oder die EU oder Russland gerade mehr Einfluss und Nutzen davon hätten. Timoschenko sei dabei das Team EU. Der Unterschied in den Methoden der jeweiligen Gruppierungen sei aber real nicht größer als der zwischen Mafia, Camorra und N'drangheta. Ihn stört deshalb nicht, dass Julia Timoschenko verurteilt wurde, sondern nur, dass die anderen beiden nicht auch schon längst vor Gericht stehen. Und er fragt uns im Westen, warum wir machtbesessene OligarchInnen und KleptokratInnen immer gleich zu Ikonen der Demokratie hochjubeln, wenn sie direkt an die Macht wollen, um sich vor allem der Strafjustiz zu entziehen, wie gewisse russische und ukrainische Milliardäre, die vom Hiuntergrund her und bei ihrer evt. Machtausübung dann auch nicht besser seien als z.B. Berlusconi. Und wieso wir ihre längst überfällige Bestrafung immer gleich als Versuch der Vernichtung der Demokratie charakterisieren würden statt zu rufen: "Endlich, Staatsanwälte, aber macht mit dem aktuellen Machtinhaber aus der Kleptokratie bitte gleich weiter!". Ob das vielleicht mit dem riesigen Einfluss der Reichen bei uns zu tun habe?

    Das ist natürlich naiv und grob ungerecht gegenüber Frauen und Männern, die sich aus dem Nichts Milliardenvermögen verschafft haben und dabei in den dafür nötigen Auseinandersetzungen innerhalb der Clans und zwischen ihnen einige Male das Leben riskiert haben. Sie sind doch die Elite und alles luopenreine Demokraten! Und wenn sie klauen, bestrafe sie besser nicht, denn sonst bekommst Du riesigen Ärger mit schlecht informierten Demokraten!

  • GG
    Grobian Gans

    Ein ukrainischer Kollege von mir ist der festen Überzeugung, dass es sich bei den beiden Ikonen der orangenen Revolution ebenso wie bei ihrem Widersacher nur um Schurken handelt, die sich schamlos an der Bevölkerung der Ukraine bereichern. Mit Demokratie habe der Politikbetrieb in der Ukraine seit deren Staatsgründung nie etwas zu tun gehabt, es ging immer nur um die Aufteilung von Macht und Pfründen zwischen verschiedenen Oligarchenclans und um die Frage, ob die USA oder die EU oder Russland gerade mehr Einfluss und Nutzen davon hätten. Timoschenko sei dabei das Team EU. Der Unterschied in den Methoden der jeweiligen Gruppierungen sei aber real nicht größer als der zwischen Mafia, Camorra und N'drangheta. Ihn stört deshalb nicht, dass Julia Timoschenko verurteilt wurde, sondern nur, dass die anderen beiden nicht auch schon längst vor Gericht stehen. Und er fragt uns im Westen, warum wir machtbesessene OligarchInnen und KleptokratInnen immer gleich zu Ikonen der Demokratie hochjubeln, wenn sie direkt an die Macht wollen, um sich vor allem der Strafjustiz zu entziehen, wie gewisse russische und ukrainische Milliardäre, die vom Hiuntergrund her und bei ihrer evt. Machtausübung dann auch nicht besser seien als z.B. Berlusconi. Und wieso wir ihre längst überfällige Bestrafung immer gleich als Versuch der Vernichtung der Demokratie charakterisieren würden statt zu rufen: "Endlich, Staatsanwälte, aber macht mit dem aktuellen Machtinhaber aus der Kleptokratie bitte gleich weiter!". Ob das vielleicht mit dem riesigen Einfluss der Reichen bei uns zu tun habe?

    Das ist natürlich naiv und grob ungerecht gegenüber Frauen und Männern, die sich aus dem Nichts Milliardenvermögen verschafft haben und dabei in den dafür nötigen Auseinandersetzungen innerhalb der Clans und zwischen ihnen einige Male das Leben riskiert haben. Sie sind doch die Elite und alles luopenreine Demokraten! Und wenn sie klauen, bestrafe sie besser nicht, denn sonst bekommst Du riesigen Ärger mit schlecht informierten Demokraten!

  • BG
    Bernd Goldammer

    @Benz

    Wie der kleine Junge in : "Des Kaisers neue Kleider" hast du die Lächerlichkeit dieser Inszenierung deutlich gemacht. Aber Politiker und Journalisten gehören zur selben Bande,sie spielen dieses Dummspiel offenbar nur für sich! Europas Problem ist: Der Kalte Krieg hat nie aufgehört.

  • S
    Stronzia

    Das die TAZ ausgerechnet dieses überzogen gestellte Bild hier einbringt ist wieder einmal typisch.Hier wird wieder eine Propagandafront gebildet.Dasselbe wie mit der Russchischen "Demokratiebewegung" und deren populären Führer der dem rechtsradikalen Lager nahe steht und desöfteren durch offen rassistischer Sätze aufgefallen ist.Wird hier eigentlich noch recherchiert?

    Als in den neunzigern Jugoslawien "platt" gemacht wurde um die letzte sozialistische Republik Europas den gar auszumachen wurde genau wie in dem Fall Timoschenkos einseitig Serbien verurteilt.Die Bilder zu der Zeit waren überall gleich in den Medien.

    Die Statistik von Amnesty International legen wahrlich kein gutes Zeugnis ab für Timoschenkos damalige Amtszeit.Folter und harsche Polizeieinsätze waren auf dem Höchststand.

    Desweiteren ging es nicht um einen Gasdeal zwischen der Ukraine und Russland,sondern mit POLEN.Und dort wurde von der Frau ein paar Milliönchen unterschlagen weswegen sie auch zurecht im Knast sitzt.Das ist auch der Unterschied zwischen diesem Land und unseren!

    Hier kommen Politiker und Industrielle/Banker nur selten vor Gericht und wenn beinhalten sie nur kleine Bewährungs- oder Geldstrafen.

    Und der nationalchauvinistische Deutsche bellt natürlich wegen dem Demokratiedefizit der Ukraine!

    P.S. Was ist eigentlich mit den tausend anderen Menschen die nicht so gute Hayftbedingungen haben wie unsere Mutter Theresa der orangenen Pro-West Opposition?

    Genau die interessiert nämlich kein Arsch.Deswegen zeigt diese Zeitung mal wieder wie bürgerlich "Grün" sie doch ist und wie wenig links

    Shame on you Taz

  • B
    Benz

    Was für ein bezauberndes Foto oben im Artikel!

     

    Die im Sterben liegende Heldin der Freiheit und der Demokratie hat trotz wahnsinniger, brutalster Schmerzen noch Kraft gefunden für ein entrücktes Lächeln, mit dem sie die EU (d.h. den Messias und Erlöser), in Gestalt dieser EU-Beamtin die bei ihr am Bett sitzt, anstrahlt.

     

    Tja, nach solch starken Bildern muss sich doch wirklich die ganze freie Welt (EU und USA) gegen die fiesen, vom KGB inszenierten Bandscheibenvorfälle im Rückgrat der Revolutionsikone einsetzen.

     

    Es lebe die Demokratie! Freiheit für die Ukraine, Gesundheit für Timoschenkos Bandscheiben!