piwik no script img

Tim und Struppi auf Arte-ReisenWunderwelt im Wolkenzug

Mit viel Hintergrundwissen, üppigen Landschaftsbildern und einer tollen Collagetechnik geht Arte "Auf Reisen mit Tim und Struppi". Leider nerven die Banalitäten des Sprechers.

Unterwegs im Himalaya: Tim und ihm unbekannte Tiere. Bild: Moulinsart-Gedeon ARTE

Da hat Arte also mal eben ein neues Genre erfunden: die gefilmte Comic-Interpretationshilfe. Und nichts Geringeres als Hergés "Tim und Struppi", der Übercomic der frankobelgischen Tradition, wird in dieser Woche in fünf Teilen analysiert. Vier Regisseure haben sich pro Folge je einen der 24 Bände vorgenommen, gemeinsam mit Tim geht es nach Ägypten, Indien, China, Marokko, Peru, Tibet. Vor 70 Jahren, als Reisen noch ein seltener Luxus war, brachte Hergé die Wunder fremder Kontinente in europäische Wohnzimmer. Heute wirken die Schauplätze auch deshalb exotisch, weil wir uns zugleich auf eine Zeitreise begeben, in eine Welt, die noch den Geist der Kolonialreiche atmet und durch die man mit Dampfschiff und Eisenbahn reiste.

Schritt für Schritt wird der Handlungsverlauf der Comicbände nachvollzogen, um immer wieder abzuschweifen, Hintergründe und Einordnungen - Comic-Exegese, Landeswissen, Zeitgeschichte - zu vermitteln. Die Aufnahmen der Originalschauplätze werden dabei mit den entsprechenden Comicpanels gegengeschnitten oder - und das ist wirklich ein tolles neues Seherlebnis - in einem Bild collagiert. Manchmal werden Hergés Zeichnungen bloß in Fenster, in Kofferinnenseiten, auf Hochhäuser und Tischflächen eingepasst. Oft aber verschmelzen die Bilder direkt mit dem Filmmaterial. Da haben die Locationscouts und die Bildbearbeiter saubere Arbeit geleistet.

So wie insgesamt viel Liebe zum Detail und Geld in der Reihe steckt. Überhaupt hat Arte da eine eigentümliche Mischung gebastelt: Versatzstücke aus Reisereportagen, Geschichts- und Naturdokus, dazu Spielszenen, Ichperspektiven, Archivmaterial, üppige Landschaftsbilder, O-Töne von Experten und den Einwohnern der heutigen Schauplätze sowie Originaldokumente, alte Fotos und Bücher.

Und was erfahren wir nicht alles: dass die Figur des Professor Bienlein dem französischen Wissenschaftler Auguste Piccard nachempfunden wurde, dass ein Sprengstoffattentat auf eine Eisenbahn in der heute ausgestrahlten Folge "Der blaue Lotos" einer historischen Begebenheit entspricht, die Japan als Grund für die Eroberung der Mandschurei nahm; dass Lamas zur Familie der Kamele gehören und dass der peruanische "Wolkenzug" von Lima nach Jauja die älteste Gebirgsbahn der Welt ist.

Bloß die Umsetzung könnte an manchen Stellen gern ein wenig straffer und dichter sein. Speziell die Versuche, mit der nacherzählten Comic-Handlung Spannung zu erzeugen, sind umständlich und eher missraten. Nicht zuletzt dank des Sprechertextes, der teilweise aus unheimlichen Banalitäten besteht - und passenderweise auch noch in einem kinderhörspielartigen, zwischen theatralisch, naiv und salbungsvoll changierenden Sprachduktus vorgetragen wird.

"Seltsam! Tim und der Kapitän sind auf einmal ganz allein im letzten Wagen!" - "Es ist kein Zufall, dass Hergés Geschichte in diesem Land spielt, durch das der Wind buddhistische Botschaften voller Reinheit und Mitgefühl trägt." - Blabla. Jaja.

Aber geschenkt. Wenn man nur irgendwas mit Comics oder den betreffenden Ländern anfangen kann, sollte man dieses innovative und äußerst vielseitige Stück Fernsehen unbedingt ausprobieren.

"Auf Reisen mit Tim und Struppi" - Arte, Mo. 20.9. - Fr. 24.9. - jeweils 19.30 Uhr

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

1 Kommentar

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • NM
    Nikola Mirza

    Lieber Herr Brake, ich finde auch, ARTE kann für sein Engagement nicht oft genug gelobt werden, aber in diesen Fall sollte man im Artikel vielleicht auch mal die Namen der 4 Autoren/Regisseurinnen und Regisseure erwähnen. Hinter jedem Artikel steht ja auch meist ein/e Autor/in ...