Tierseuche medizinisch besiegt: Rinderpest ist ausgestorben
Die Rinderpest ist nach den Pocken die zweite Infektionskrankheit, die offiziell als besiegt gilt. Einige Rinderpestviren existieren weiter - in Laborkühlschränken.
BERLIN taz | "Rinderpest ausgelöscht!" Die Organisation für Tiergesundheit (OIE) und die UN-Welternährungsorganisation (FAO) haben die gefährliche Krankheit Ende Mai in einer gemeinsamen Erklärung offiziell für ausgerottet erklärt. Damit ist die Rinderpest nach den Pocken die zweite Infektionskrankheit, die in einer weltweiten Kampagne ausgemerzt wurde.
Zwar ist das Rinderpestvirus, das dem Masernvirus verwandt ist, für den Menschen nicht direkt gefährlich. Rinderpest-Epidemien haben aber in früheren Zeiten wiederholt zu schweren Hungersnöten mit vielen Todesfällen geführt, und sie haben möglicherweise auch den Lauf der Geschichte beeinflusst.
Das Virus kann Rinder und andere Wiederkäuer wie Schafe und Ziegen sowie Paarhufer wie Flusspferde und verschiedene asiatische Hausschweine befallen. Es verbreitet sich durch direkten Kontakt, über Tröpfcheninfektion oder mit den Ausscheidungen erkrankter Tiere.
Bereits nach kurzer Zeit zeigen sich schwerste Symptome: hohes Fieber, Futterverweigerung, Apathie und Ausfluss aus Nase, Augen und Maul. Es kommt zu heftigen blutigen Durchfällen, die in den meisten Fällen nach einer Woche mit dem Tod enden.
Wahrscheinlich stammt das Virus ursprünglich aus Zentralasien. Während der Völkerwanderung könnte der Krankheitserreger von den Hunnen und später von den Mongolen nach Europa gebracht worden sein. In den Jahren 375 bis 386 brachen in Europa schwere Epidemien aus, die möglicherweise den Zerfall des Römischen Reichs vorangetrieben haben.
Im 18. Jahrhundert kam es immer wieder zu Rinderpest-Epidemien in Frankreich. Dies könnte die Revolution von 1789 mit entfacht haben.
Hungernöte durch Rinderpest
Die italienischen Kolonialarmeen brachten das Virus nach Äthiopien, von wo es sich innerhalb eines einzigen Jahrzehnts in Afrika über die gesamte Subsahara ausbreitete.
Wie die FAO erklärte, vernichtete die Rinderpest 80 bis 90 Prozent des Rindviehbestands und zahlreiche Huftierherden der Savanne. Folge war eine unvorstellbare Hungersnot, die zur Entvölkerung großer Gebiete führte. Wahrscheinlich erleichterte dies die anschließende Kolonisation des afrikanischen Kontinents durch europäische Staaten.
In den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts brach die Rinderpest auf der ganzen Welt aus: von Skandinavien bis zum Kap der Guten Hoffnung, von der Atlantikküste Afrikas bis zu den Philippinen. Sogar in Australien und Brasilien kam es in Tierherden zu Ausbrüchen.
Lange Zeit war das Virus nicht zu stoppen. Noch in den frühen 1980er Jahren wurden Herden in der ganzen Welt befallen. Besonders desaströse Epidemien wurden aus Afrika, Südasien und dem Nahen Osten gemeldet. Allein in Nigeria kam dadurch zu wirtschaftlichen Verlusten von 2 Milliarden US-Dollar. 1994 konnte eine Epidemie im Norden Pakistans erst gestoppt werden, nachdem über 50.000 Rinder verendet waren.
Ein erster Impfstoff
In Europa gelang es, durch strikte Kontrollmaßnahmen die Seuche viel früher in den Griff zu bekommen. Erkrankte Rinder wurden gekeult und befallene Herden isoliert. Durch diese Maßnahmen verschwand das Virus in Europa schon nahezu ein halbes Jahrhundert bevor dann in den 1960er Jahren ein wirksamer Impfstoff zur Verfügung stand.
Schon Robert Koch hatte sich um einen Impfstoff bemüht. Die heute verwendete Vakzine wurde von dem Veterinärpathologen Walter Plowright entwickelt und erstmals in den 1950er Jahren getestet. Zahlreiche Impfkampagnen waren im Prinzip erfolgreich, wurden jedoch immer viel zu früh beendet.
Erst mit Hilfe der systematischen Erfassung und Bekämpfung der Epidemien durch das 1994 von der FAO gegründete Global Rinderpest Eradication Programme (GRE) gelang es, das Virus wirksam zurückzudrängen. Die Wissenschaftler fanden zudem heraus, dass verschiedene Wildtiere entscheidende Reservoirs für den Erreger sind. Es gelang, die Impfstoffe dementsprechend weiter zu spezialisieren und so die Erkrankungen aufzuhalten.
Bei der Jahrtausendwende waren die Rinderpest-Epidemien schließlich bis auf das "somalische Ökosystem" zurückgedrängt, dem die südlichen Regionen Somalias und die angrenzenden Teile Äthiopiens und Kenias angehören. Der letzte Rinderpestausbruch wurde im Jahre 2001 aus Kenia gemeldet.
Rinderpest im Tiefkühlfach
Mit der offiziellen Bekanntgabe des Siegs über die Tierseuche hat man lange gewartet. Die Impfungen erfolgten mit einem Lebendvirus: Dadurch sind Immunität und Infektion bei einem Tier oft nicht einfach voneinander zu unterscheiden. Jetzt feiern die Wissenschaftler die Vernichtung der Rinderpest als eine der größten Leistungen im Bereich der Tiermedizin.
Doch vollkommen ausgelöscht ist das Virus noch nicht. Der Erreger existiert zurzeit noch in einer Reihe von Forschungslabors. Die OIE will demnächst eine Liste der Staaten vorlegen, in denen das Virus noch für Forschungszwecke aufbewahrt wird.
Damit ist nicht auszuschließen, dass das Virus noch einmal in die Umwelt gelangt. Ein Vergleich mit der erfolgreichen Bekämpfung der Pockenviren drängt sich auf. Die für den Menschen gefährliche Pocken wurden 1980 von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als für besiegt erklärt.
Vernichtung aufgeschoben
Aber auch sie sind nicht vollkommen ausgerottet. Einige von ihnen leben noch weiter: in den USA am Zentrum für Prävention und Kontrolle von Infektionskrankheiten in Atlanta und in Russland am staatlichen Forschungszentrum für Virologie und Biotechnologie in Nowosibirsk in Sibirien.
Seit Jahren wird jetzt schon darum gestritten, auch diese Restbestände zu vernichten. Vor wenigen Wochen erst wurde auf einer Tagung der WHO der endgültige Beschluss zur Vernichtung der letzten Pocken wieder einmal verschoben.
Die USA und Russland wollen ihre Bestände für mindestens fünf weitere Jahre behalten. Zu Sicherheit, heißt es. Denn sollten doch noch einmal Pocken ausbrechen, zum Beispiel weil sie als Biowaffe missbraucht werden, könnte mit Hilfe der eingelagerten Viren relativ schnell ein Impfstoff entwickelt werden.
Vergessen wird oftmals dabei, dass die bisher letzte Pockeninfektion, 1978 in Großbritannien, auf einen solchen Laborstamm zurückzuführen war.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Angriffe auf Neonazis in Budapest
Ungarn liefert weiteres Mitglied um Lina E. aus
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands