Thomas Gottschalk ist lustlos, aber: Wetten, dass ... er bleibt?!
Thomas Gottschalk meckert über seine Kritiker - aufhören will er trotzdem nicht. Aber ist es nach Jahrzehnten auf dem Bildschirm nicht mal an der Zeit? Ein Pro & Contra.
Weg mit ihm!, sagt Nele Jensch
Eine wahrhaft frohe Botschaft zu Ostern: Thommy Gottschalk denkt (mal wieder) übers Aussteigen nach. Er ist ja auch etwas in die Jahre gekommen, unser Entertainment-Dino. Und was bringt das Alter so mit sich? Konzentrationsschwierigkeiten, die sich zu Sekundenschlaf auswachsen können, Midlife-Crisis-bedingtes Herumgrabschen an jungen Hüpfern. Und natürlich das altersobligatorische Jammern: "Nach jeder Show posaunen irgendwelche Klugscheißer herum, was ich alles versemmelt habe. In dem Moment sage ich: Dann machts halt selbst", nörgelte Gottschalk. Nein, er mag nicht mehr. Jedenfalls nicht so. Mehr Anerkennung möchte er haben und mehr Lob. Das hat er sich schließlich verdient: Wer rettet denn die Einschaltquoten des ZDF? Oh ja, Gottschalk versteht es, mit "Wetten, dass ..?" mehr Zuschauer am Samstagabend vor der Flimmerkiste zu fesseln als jeder andere. Quoten durch Zoten eben.
Dafür unterbreitet er jeder Dame, die sich auf seine Couch verirrt, geradezu zwanghaft seine Paarungsbereitschaft, gerne durch Herumtatschen an exponierten Gliedmaßen. Charmant geht es selten zu, subtil niemals: "Irgendwann krieg ich dich!", drohte Gottschalk Veronika Ferres.
Branchenintern betrachtet ist der Gottschalk mit seinen 57 Jährchen gar nicht so alt - man denke nur an Johannes Heesters, 104. Nur leider hat er den Sprung zum Erwachsenwerden nie geschafft. Der Thommy möchte mit Ende 50 noch immer den Lausbub mimen, aber das klappt nicht mehr so recht. Die Engelslöckchen verlieren allmählich den Glanz, die Witze den Schwung. Gottschalk ist im besten Fall ungewollt komisch, meistens bloß peinlich.
Die Deutschen lieben ihn trotzdem - oder gerade deshalb. Der Gottschalk, der traut sich was! Hat keine Angst vor grellen Outfits. Fasst Popsternchen Beyoncé ungestraft an den Busen. Macht böse Sprüche: "Comedy ist zu wichtig, als dass man dieses Thema allein der SPD überlassen dürfte."
Gottschalk ist der Dieter Bohlen des ZDF, etwas zahmer vielleicht, aber genauso laut und potent - und damit genau das, was viele Deutsche gerne wären. Ein Womanizer. Eine Stilikone. (Wenn auch beides mit der Einschränkung "Möchtegern-" vorweg.) Vor allem aber ist Gottschalk eine der letzten heiligen Kühe Deutschlands - die schleunigst ihrem natürlichen Ende zugeführt werden sollte. Leider entpuppte sich sein Gemeckere auch diesmal als leeres Versprechen. Noch ist Thommy nicht bereit zu gehen, um dem ZDF die längst überfällige Möglichkeit zur Qualitätssteigerung zu bieten und Platz zu machen für neue Vorbilder. Schade, aber halb so schlimm: Wir sind jung, wir können warten.
Wer solls sonst machen?, fragt Daniel Müller
Sicherlich mag Thomas Gottschalk ob seines leicht antiquierten Moderationsstils anachronistisch wirken. Und ja, auch seine Witzeleien treffen nicht immer den Nerv der Zeit. Aber es sind doch genau diese etwas unbedachten Scherze, diese lustgreisernen Grabschereien, diese verschmusten Tête-à-têtes mit den Hollywood-Granden, die Millionen von Zuschauern immer wieder vor den Bildschirm locken. Er bietet das an, was Otto Normalzuschauer von einer Unterhaltungssendung erwartet: eine Prise Skandal, ein kleiner intimer Schmerz - und jede Menge Diskussionsstoff.
Thomas Gottschalk hat sich Reibungspotenzial erarbeitet - ihm fliegen Lobeshymnen ebenso zu wie Schmähkritik. Genau das macht ihn trotz seines Alters und der mittlerweile geringen Präsenz zu einem der wichtigsten Entertainer hierzulande. Und dass er nicht den Zeitgeist trifft, ist seine Stärke, versprüht er als letzter deutscher Showmaster doch zumindest einen Hauch von der Schlagfertigkeit eines Peter Frankenfeld.
Und nun denke man mal kurz an die Alternativen - wer sollte denn bitte "Wetten, dass ..?" zukünftig moderieren? Die ZDF-Allzweckwaffe Johannes Baptist Kerner etwa? Gott bewahre. ARD-Dauergrinser Jörg Pilawa, der omnipräsente Günther Jauch oder, noch schlimmer, RTL-Talkshow-Nudel Oli Geißen? Manch einer mag unken, dies sei eine Wahl zwischen Pest und Cholera, aber unter den Blinden ist der Einäugige nun mal König - mag er noch so grässlich angezogen sein. Überhaupt sein Outfit! Sendung für Sendung laben sich Millionen an der Debatte um seine Anzüge. Er bedient sich des Rokoko genauso wie der 70er-Jahre, des Fracks ebenso wie einer in seinem Farben- und Formenreichtum technoid anmutenden Outfitkultur. Ebendas ist Ritual geworden - und in seiner Konsequenz nur begrüßenswert.
Und bei all dem Aufschrei über sinkende Quoten: Liebe Leute, jedes Mal verfolgen über zehn Millionen Menschen "Wetten, dass ..?". Keine Show vereinigt junges und altes Publikum gleichermaßen, erreicht selbst in der studentischen Zielgruppe einen Marktanteil von fast 30 Prozent. Keine andere Show in Europa läuft konstant auch nur annähernd so erfolgreich. Und keine andere Show ist derart untrennbar verwoben mit seiner Frontfigur. Dass dieses längst nicht mehr en vogue erscheinende Format überhaupt noch so stark am Markt positioniert ist, ist ein maßgebliches Verdienst des Kulmbachers, der die Show mit kurzer Unterbrechung schon seit 21 Jahren moderiert. Gottschalk ist nicht nur ein Name, er ist die Marke "Wetten, dass ..?". Und er hat zweifelsohne recht, wenn er sagt: "Wenn ich aus dem Leben scheide, nehme ich ,Wetten, dass ..?' mit in den Himmel."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Deutungskampf nach Magdeburg
„Es wird versucht, das komplett zu leugnen“
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Gedenken an den Magdeburger Anschlag
Trauer und Anspannung
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer