Thomas Gebauer zur Lage in Afghanistan: "Glaubwürdiger Abzugsplan muss her"
Aufrüsten ist der falsche Weg. Über den afghanischen Widerstand gegen ausländische Soldaten und den Hunger der Zivilbevölkerung spricht der Helfer Thomas Gebauer.
taz: Herr Gebauer, wann waren Sie zuletzt in Afghanistan?
Thomas Gebauer: Ich selbst war vor einem Jahr das letzte Mal in Kabul - da war es schon kaum mehr möglich, in die ländlichen Gebiete zu fahren. Alle meine Gesprächspartner waren in großer Sorge. Sie machten deutlich, dass Afghanistan nur eine Chance habe, wenn sich die Politik der ausländischen Interventionskräfte und der Regierung Karsai substanziell ändern würde.
Was für Änderungen? Wurde der sofortige Abzug der ausländischen Truppen gefordert?
Nicht der sofortige Abzug, wohl aber eine deutliche Zurückdrängung des Militärischen. Unsere Partner wünschen sich deutlich mehr Engagement bei der Schaffung von Rechtssicherheit, der Bekämpfung der Korruption und der Mithilfe bei der Wiederbelebung der Wirtschaft.
Zurzeit verhandelt die afghanische Regierung ja mit den Taliban: Kann man sich mit denen denn friedlich einigen?
Das Problem in Afghanistan sind ja nicht nur die Taliban. Derzeit gibt es um die 2.000 Gruppen, die sich auf irgendeine Weise im Widerstand gegen die ausländischen Truppen sehen. Auch die Taliban sind kein monolithischer Block. Ja, Verhandlungen sind die Grundlage jeder Lösung. Aber man sollte sich das nicht so vorstellen, dass Karsai mit Mullah Omar spricht, sondern dass auf lokaler und regionaler Ebene alle relevanten Kräfte, Clanchefs, religiöse Kräfte, Vertreter der Zivilgesellschaft, der afghanischen Regierung und auch Taliban an einem Tisch sitzen, um einen Konsens über lokale Entwicklungsprogramme zu schaffen.
Sitzt da auch die lokale Drogen- und Entführungsmafia?
Bei einer Arbeitslosigkeit von 70 Prozent und einer zunehmenden Hungerquote ist das Überleben der Menschen gebunden an die Zugehörigkeit zu traditionellen Clanstrukturen. Die können Sie dann auch Mafia nennen. Das ist nicht erstrebenswert, keine Frage. Aber Drogenanbau und Kriminalität, die im Kern Überlebensstrategien sind, lassen sich nicht militärisch bekämpfen.
Wie unterscheiden sich der Norden und der Süden?
Die Unterschiede haben mit der Bevölkerungsstruktur Afghanistans zu tun. Der paschtunische Süden fühlt sich in der gegenwärtigen Regierung zu wenig repräsentiert. Hier ist der Einfluss der Taliban größer, die Lage brisanter. Aber auch im Norden, der bislang ruhiger war, eskalieren die Kampfhandlungen. Kinder, die den Soldaten anfangs zugewinkt hatten, bewerfen sie heute mit Steinen. Die zivilen Opfer, die der Krieg auch im Norden fordert, untergraben das Vertrauen der Menschen. Nun rächt sich auch, dass die Bundeswehr völlig unvorbereitet nach Afghanistan geschickt wurde. Es gab keine Kenntnisse über Kultur und Sozialstruktur des Landes.
Die Bundeswehr hat über 30 tote Soldaten zu beklagen. Ist die Diskussion hierzulande da nicht erstaunlich leise?
Die öffentliche Debatte wird zunehmen. Wir spüren das in den Anfragen, die wir bekommen. Immer deutlicher wird, dass das Ziel des Kampfeinsatzes nicht die Wahrung der Menschenrechte ist, sondern eine Wiederauflage der Machtpolitik des 19. Jahrhunderts. Es wird klarer, was Peter Strucks Diktum, dass am Hindukusch deutsche Interessen verteidigt werden, bedeutet. Auch das Verteidigungsministerium spricht nicht mehr von Aufbauhelfern in Uniform - sondern von kämpfenden Einheiten, die so lange vor Ort sein sollen, wie von Afghanistan Gefahren für Deutschland ausgehen. In dem Maße, wie deutlich wird, dass es der Nato in Afghanistan um die Durchsetzung eines globalen Gewaltmonopols geht, wird auch die Kritik an dem Einsatz wachsen. Zur Tragik gehört, dass keine Seite den Krieg militärisch gewinnen kann. Es ist vor allem die Zivilbevölkerung, die zwischen den Fronten leidet.
Auch in den USA will man ja eher noch mehr Soldaten schicken.
Die Isaf-Führung fordert 300.000 bis 400.000 Soldaten für Afghanistan. Solche Zahlen belegen, wie die gegenwärtige Afghanistanstrategie in die Eskalation der Gewalt führt. Nicht weitere Soldaten sind notwendig - sondern Disengagement und ein glaubwürdiger Abzugsplan.
Was ist mit denen, die sich auf den Schutz durch die ausländischen Truppen verlassen: Wird es wie in Saigon sein, wo sich verzweifelte Menschen an den letzten abfliegenden US-Hubschrauber klammerten?
Die Parallelen sind begrenzt. Die Menschen, die heute in Afghanistan bei einem unmittelbaren Abzug bedroht wären, verlieren schon heute zwischen den Fronten ihr Leben. Seit Mitte letzten Jahres fielen acht Minenräumer unserer Partnerorganisation den Kämpfen zum Opfer. Schon jetzt werden diejenigen im Stich gelassen, die die Friedens- und Demokratie-Rhetorik des Westens für bare Münze genommen haben und sich im Konflikt mit überkommen geglaubten Strukturen für eine demokratische Zukunft engagierten: die Fraueninitiativen, die Selbsthilfegruppen, die Menschenrechtsaktivisten. Deshalb ist es ja so frustrierend, dass der Bundestag gerade wieder die Chance für eine andere Afghanistanpolitik verpasst hat.
Wo gibt es Ansätze dafür?
Venro, ein Zusammenschluss von rund hundert entwicklungspolitischen NGOs in Deutschland, hat kürzlich betont, dass der Krieg in Afghanistan die Gewalt befördert. Statt militärischer Aufstandbekämpfung ist zivile Konfliktlösung notwendig - so wie es sich letztlich auch das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit wünscht. Die guten Ansätze werden jedoch durch eine zunehmende Militarisierung der Außenpolitik konterkariert.
Warum?
Weil die Nato, in die Deutschland eingebunden ist, nicht die politische und soziale Entwicklung Afghanistans im Blick hat. Es geht vielmehr um die Sicherung von Einflusssphären, Kontrolle der Energielieferungen, die Einkreisung des Iran, um geostrategische Ziele eben. Wie soll es unter solchen Umständen ein kohärentes Gesamtkonzept geben? Das Ganze gleicht eher einem Durchlavieren, bei dem am Ende das Militärische die Oberhand gewinnt.
Sollte die Aufbauhilfe besser unter UN-Mandat erfolgen?
Wenn das, was bisher vor allem zur Rechtfertigung des Krieges gedient hat, zum Kern des Engagements würde - also wenn, sozusagen von unten, demokratische und rechtsstaatliche Gemeinde- und Provinzverwaltungen entstünden und Wiederaufbauprogramme dann nicht mehr ins Leere liefen -, dann könnte auch der Einsatz von UN-geführten Soldaten Sinn machen.
Hat die Zentralregierung in Kabul versagt?
Karsai ist längst Teil des Problems - er behindert die Demokratisierung mehr, als dass er sie vorantreibt. Das verweist auf den Geburtsfehler des Afghanistaneinsatzes. Die mit Kriegsverbrechern durchsetzte Regierung war von Anfang an diskreditiert. Die Vertreter der Zivilgesellschaft hat man auf dem Petersberg nicht gehört. Wir müssen endlich einsehen, dass der Teufel nicht mit dem Beelzebub ausgetrieben werden kann. Auch Pakistan, in dem es eine lebendige Zivilgesellschaft gab, hat man mit der Unterstützung des Diktators Musharraf ruiniert. Durch die Förderung autoritärer Strukturen wurde die Terrorgefahr nur scheinbar gebannt, langfristig aber die ganze Region destabilisiert. Ich sehe nur einen Ausweg: den der langsamen Transformation, wie damals in Südafrika.
INTERVIEW: AMBROS WAIBEL
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