: Thesen von bemerkenswerter Einseitigkeit –betr.: „Familienkultur der Intoleranz und des Hasses“, intertaz vom 22. 3. 99
Als Herr Pfeiffer am 17.2.1999 mit seinen Thesen zu den Ursachen der Ausländerfeindlichkeit ostdeutscher Jugendlicher begann, in der Presse „Furore“ (taz, 22.3.) zu machen, war das Ergebnis klar: Dankbar wurde die neue Chance aufgegriffen, Thesen von bemerkenswerter Einseitigkeit als ganze Wahrheit zu verkaufen und damit wieder mal den Beweis für die Abartigkeit der Ossies zu liefern. Interessanterweise kam damit gleich auch der Beweis für die Abartigkeit der Erziehung in östlichen Kitas. Das ist politisch ergiebig und gewollt angesichts der Tatsache, daß die im Osten immer noch existenten Versorgungsstandards in der Kinderbetreuung (zehn bis zwölf Stunden täglich bei nahezu 100 Prozent Platzangebot) schon seit langem den westlichen angeglichen werden sollen, die es Erziehenden selten ermöglichen, ohne zusätzliche individuelle Lösungen einem Vollzeiterwerb nachzugehen (wovon positive Wirkungen hinsichtlich der Arbeitslosenzahlen im Osten erwartet werden).
Einseitig sind die Thesen Herrn Pfeiffers, weil er nebst anderem ausläßt, daß bekanntermaßen im Westen die Ausländerfeindlichkeit dort am größten ist, wo die Ausländerdichte am geringsten ist. Ein Ausländer läuft zwar (und das ist in der Tat empörend) im Osten 25mal eher als im Westen Gefahr, überfallen zu werden, er muß allerdings auch zehn- bis 25mal länger suchen, bis er einen anderen Ausländer findet.
Vollends vernachlässigen Herr Pfeiffer und die ihn dankbar kolportierenden Medien, daß Gewalt gegen AusländerInnen im Westen wie im Osten ein Männerproblem ist, denn es sind auch bei solcher Gewalt fast ausschließlich Männer, von denen sie ausgeübt wird. Das muß festgestellt werden, weil weibliche Kinder im Osten die gleiche Erziehung durchliefen wie ihre männlichen Artgenossen. [...]
Einseitigkeit der Pfeifferschen Art, die mit dem Finger auf andere zeigt und die eigenen Schwächen unterschlägt, vernebelt den Blick auf weitere Realitäten und baut Mauern in Köpfen auf. Dabei ist eine produktive Diskussion darüber, wie in Deutschland – West und Ost – mit Kindern umgegangen wurde und wird, dringend notwendig. Allerdings ohne einseitige Verurteilung und unter nüchterner Berücksichtigung möglichst aller wichtigen Fakten und Faktoren auf beiden Seiten. Elke Plöger, Staatssekretärin a.D., Sachsen-Anhalt
[...] Eine Frage drängt sich mir auf: Welcher Sozialisationsfehler liegt bei Teilnehmern eines CSU-Parteitages vor? Ich habe das mal als Beispiel gewählt, um bei einer hinreichend großen Population eine statistische Aussage zu ermöglichen. Im übrigen herrscht auch im Osten Deutschlands seit zehn Jahren Kapitalismus, also emotionale Wärme und Individualisierung – bei 16jährigen Jugendlichen. Matthias Dintner, Erfurt
[...] Der Inhalt des Gespräches wurde korrekt wiedergegeben. Die Überschrift dagegen empfinde ich als völlig inakzeptabel. Der Titel „Familienkultur der Intoleranz und des Hasses“ erweckt den Eindruck, als hätte ich dieses in bezug auf die DDR-Familien generell zum Ausdruck gebracht. Leser aus den neuen Bundesländern müssen so den Eindruck gewinnen, als hätte ich mich allgemein diffamierend und abwertend über die Familienkultur geäußert. Genau das war aber nicht der Fall.
Ich kritisiere gerade nicht pauschal das Verhalten der Eltern, sondern wende mich gegen das DDR-Erziehungssystem, das Rahmenbedingungen für eine Verunsicherung und zu starke Gruppenorientierung der jungen Menschen gesetzt hat. Nur an einer Stelle des Textes gehe ich auf die Familien ein. Insoweit beziehe ich mich auf eine Untersuchung zu jungen und älteren Menschen in Sachsen-Anhalt. Nur im Hinblick auf die Täter fremdenfeindlicher Gewalt schließe ich mich der Vermutung der Autoren dieser Studie an, die auf der Basis ihrer Daten davon ausgehen, daß die jungen Gewalttäter massiv durch ein ausländerfeindliches Umfeld und entsprechende Einstellungen in ihren Familien geprägt sind. Entsprechendes hat sich im übrigen bei einer Untersuchung von Biographien junger westdeutscher Skinheads herausgestellt. Auch hier spielte die Gewaltakzeptanz der Eltern für ihr Verhalten eine gewichtige Rolle.
Christian Pfeiffer, Direktor Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen e.V.
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