: Themenabend Subversion
Der Underground ist nicht tot, er riecht nur nicht mehr so ganz frisch: Das multimediale Kunstfestival „Interzone – Recycling the Future“ liefert einen Monat lang in Galerien, „Langen Nächten“ und auf Lesungen die gute alte Subkultur der Öffentlichkeit aus
von SANDRA FRIMMEL
Ratten, ungeschützt verlaufende Rohre, aus den Betonwänden stechende Stahlträger – die maroden, bei Dunkelheit beinahe morbiden Rathauspassagen am Alexanderplatz bieten sich nicht unbedingt als idealer Ausstellungsort an.
Doch gerade aus diesem Grund reizte die unwirkliche Ecke den in Prag geborenen, multimedial arbeitenden Künstler Marek Schowanek und Bernhard Draz, Künstler und Kurator, um an diesem für Kunst nicht etablierten Raum das multimediale Kunstfestival „Interzone – Recycling the Future“ zu installieren.
„Interzone“ besinnt sich auf ein Jubiläum: „1990 entstand in Ostberlin eine Subkultur, die ihr Hauptaugenmerk auf Selbstverwaltung, Spontaneität und Improvisation richtete . . . Möglich wurde dies durch die Tatsache, dass Ostberlin einer noch nicht abgeschlossenen historischen Umbruchphase unterworfen war. Die Stadt befand oder befindet sich zumindest noch zum Teil in einem Stadium der Zwischenzeit.“
Doch diese Zwischenzeit, in der das Tacheles zum Inbegriff des Berliner Undergrounds wurde, liegt in ihren letzten Zügen, röchelt und zappelt. Die neue Mitte mit ihren schick renovierten Altbauten und sauber geleckten Clubs steht kurz vor ihrer Vollendung, der Potsdamer Platz erstrahlt in Glas und brüstet sich mit architektonischen und technischen Höchstleistungen, die Ruine des Tacheles scheint ein Relikt aus einer vergangenen Zeit. Die zurückliegenden zehn Jahre Subkultur mit ihrem nahezu grenzenlosen Freiraum stehen kurz davor, in ihr eigenes Grab zu springen.
Deswegen soll „Interzone“ all die spannungsreichen Prozesse nochmals ins Gedächtnis rufen, will sie ausschnitthaft der Öffentlichkeit präsentieren, bevor der Geist einer internationalen, freien Szene „verpufft“. Einen Monat lang finden jeden Tag Veranstaltungen statt, die Subkultur besticht mit Lesungen, Ausstellungen, Performances, Konzerten, Filmen und themenorientierten „Langen Nächten“ – der Berliner Untergrund wird öffentlich.
Das Programm ist zweifellos rasend prickelnd. Es gibt eine Propangasorgel, Tanja Dückers liest aus ihrem neuen Roman „Hausers Zimmer“ und die Archive des Berliner Kurzfilmfestivals werden geöffnet. Selbstverständlich kann das Gebotene immer nur fragmentarisch sein, ein Totalitätsanspruch wird weder von Draz noch von Schowanek erhoben. Das ist klug, komprimiert und aufregend. So liegt das, was „Interzone“ so befremdlich erscheinen lässt, auch auf einer anderen Ebene als auf der des künstlerischen Programms.
„Interzone – Recycling the Future“ ist ein Paradoxon. Zwar soll es keinesfalls eine Retrospektive des Berliner Undergrounds sein, verkauft sich jedoch fast so, da die Auflistung der teilnehmenden Künstler einen großen Rundumschlag vornimmt. Der Untergrund wird greifbar gemacht und wird öffentlich, damit jeder mal kurz vorbeischauen und sich an den kruden Aktivitäten erfreuen kann. Doch Fassbarkeit läuft den Ursprüngen eigentlich zuwider. Zudem entzieht die Stadtplanung der Subkultur den Boden, sodass dieses Festival trotz aller sprühenden Aktivität den Beigeschmack eines Abgesangs auf die vergangenen zehn Jahre erhält.
Der Underground setzt Staub an, denn durch „Interzone“ wird er archivierbar, scheint sich selbst überlebt zu haben. Was grundsätzlich nicht so furchtbar ist. Altes vergeht, Neues kommt, ansonsten gäbe es keine Entwicklung und das Leben wäre tödlich trist – trotz Propangasorgel.
Doch Bernhard Draz betrachtet das Festival keineswegs als Beerdigung, die Entwicklung schreite schließlich in einem organischen Prozess fort. Und Schowanek sieht schlicht nach der ersten Zwischenzeit im Übergang von sozialistischer Planwirtschaft zum Kapitalismus einen neuen Zwischenraum und auch eine neue Zwischenzeit angebrochen – zwischen heute und der Zukunft. Dieser „multiple point“ solle nun von neuen Künstlern besetzt werden, wie auch immer das schließlich aussehen möge. Es sei schlicht ein „point in flux“, der sich ständig verändere, sehr komplex und gleichzeitig furchtbar simpel.
Also ist „Interzone“ doch eine Beisetzungzeremonie, allerdings inklusive Auferstehung. Noch befremdlicher wirkt hier Draz’ Vorwurf an die mangelnde Präsenz der Berliner Politiker bei solchen Veranstaltungen und ihren nicht vorhandenen Förderungswillen. Lebt Subkultur nicht aus staatlicher Unabhängigkeit und Unkontrollierbarkeit? „Wir sind mit unserem mickrigen Interzone-Projekt kein Establishment.“ Das ist schön, aber warum wird dann fehlendes staatliches Interesse bemängelt, das eben dazu führen würde? Das ist widersprüchlich. Wahrscheinlich ebenso widersprüchlich wie das, was sich in nächster Zeit als Untergrund formieren wird und dessen Wendepunkt „Interzone“ markiert.
Was nachfolgt, ist offen. Öffentlich anerkannter und vielgepriesener Untergrund, der den Weg des Techno nachzeichnet? Wie die Zukunft hier wieder verwertet werden soll und welche Modelle man aus ihr kristallisieren kann, ist wohl widersinnig und unbestimmt. Doch wo Ratten sich wohl fühlen, entsteht vorerst sicherlich keine herrschende Schicht. Na wunderbar.
Bis zum 30 Juli. Programm unter www.interzones.net
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