Theaterstück zu Mutterschaft: Bis der Bauch sich endlich wölbt
Das Schauspiel Hannover erzählt in „Die Tage der Hyäne“ von einer Frau, die um jeden Preis Mutter werden möchte. Autorin Sara Turuunen führt auch Regie.
Etwas Freudvolles ist in diesem Raum schwer vorstellbar. In schönster Muffigkeitsanmutung umrahmt ein brauner Vorhang mit Omas Faltenwurfdesign das PVC-steril grundierte Einheitsbühnenbild. Darin prunkt ein edelholzig wirkender Schreibtisch wie in einem Chefbüro der 1960er Jahre – temporär ergänzt von einem Gynäkologenstuhl. Die Macht normativer Kräfte trifft auf die archaischen Kräfte der Fortpflanzung.
Mitten hinein gerät eine namenlose Heldin, Schriftstellerin wie die finnische Autorin Saara Turunen. Sie hat ihre autofiktionale Novelle „Hyeenan päivät“ fürs Lilla Teatern in Helsinki adaptiert und nun am Schauspiel Hannover als „Die Tage der Hyäne“ zur deutschen Erstaufführung gebracht.
Obsessiv tritt die Hauptperson auf und betont, ob die Welt an der globalen Krisengemengelage gerade zugrunde gehe, sei ihr egal, sie wolle ein Kind. Unbedingt. Unbedingt! Ihr Blick richtet sich auf einen Schwangerschaftstest. Musik tickt die Wartezeit herunter. Ernüchterung. Enttäuschung. Trauer. Wut.
Ihr Mann macht so eine Macht-nichts- oder Ich-kann-auch-nichts-dafür-Geste. Fundamentale Lebenskrise. Ein höchst relevantes Thema: In Deutschland ist ein Fünftel der erwachsenen Frauen kinderlos, ein Drittel davon unfreiwillig.
Die Tortur der Kinderwunschbehandlung
Auf zum Arzt. Der Mann wird mit Porno und Töpfchen zum Hineinonanieren hinter die Bühne geschickt. Die Frau bekommt Hormonchemie, die sie sich unter stummen Schreien in den Bauch spritzt. Später injiziert der Arzt aufgepäppelte Spermien mit dem Inseminationskatheder. Eine Tortur. Die Frau leidet. Und vertiert.
Also sie schaut eine Doku über Hyäninnen und mag wohl ihre Domina-Natur im Paarungsverhalten, bei der Kinderaufzucht und im sozialen Miteinander der matriarchal organisierten Rudel. Sie setzt sich Hyänenohren auf und Reißzähne ein. Beginnt zu fauchen und zu schnüffeln. Nur wirkt das nicht wie eine existenzielle Verwandlung, eher wie eine Probe im Karnevalskostüm.
Regisseurin Turunen spitzt die animalische Setzung ins Surreale zu. Der Arzt krönt sich mit einem Zauberhut und legt der Hyänenfrau zwei (Hühner-)Eier in die Hände. Hexenhaft wedelt er mit Maiglöckchen- und Radieschenstrauß, Reisigrute und Nebelmaschine herum, versprengt dabei auch ein Wässerchen, bestimmt eine magische Fruchtbarkeitstinktur. Und heißa! Freudentanz. Endlich wölbt sich der Bauch der Frau. Endlich Muttertier.
Schon versucht die Gesellschaft dieses unbekannt-gefährliche Wesen einzunorden, gibt endlose Ernährungsanweisungen und Kalendersprüche zum Besten, vermisst den wachsenden Körper und präsentiert eine Revue mit Vorbildmüttern, die als glücklich souveräne Gebärerinnen mit ihrem Nachwuchs posieren. Neben Hauptdarstellerin Stella Hilb agiert ein Schauspielquartett in insgesamt 25 Rollen.
Typisierte Begleiterscheinungen
Die rasch wechselnden Tableaus zeigen keine individuelle Geschichte, sondern typisierte Begleiterscheinungen von Schwanger- und Mutterschaft. Wenn etwa die Freundin sagt, „die Erde verkraftet es nicht, wenn sich alle vermehren. Außerdem gibt es auch andere Arten zu leben“, dann krault sie dabei an einer Kuschelfellkatze als Kinderersatz herum.
Wenn das Neugeborene bei den tattrig gebeugten Großeltern geparkt wird, werfen die es in einer Mischung aus Freude und Verunsicherung wie einen Ball hin und her. Und als die Heldin bei einer Lesung gefragt wird, was sie zur Zukunft des europäischen Theaters sagen könne, hält sie ihr Baby hoch und betont, das interessiere sie mehr.
All das wird nicht in Sketch-Manier ausgelacht, auch nicht satirebissig kritisiert, sondern mit melancholischer Ironie inszeniert. So finnisch wie wir es von Aki Kaurismäkis lässiger Melodramenseligkeit kennen. Also langsames Tempo, abgesenkte Schultern, minimalisierte sprachliche Äußerungen, gedämpfte Atmosphäre, Blicke ins Leere. Eher die Stimmung als die analytische Ausleuchtung der Situationen steht im Fokus.
Sodass leider zum schambehafteten Kampf zwischen Selbstverwirklichung und tradierten Rollenbildern außer der Hyänensymbolik nur das Klischee einer Frau zu erleben ist, die sich ohne Kinder unvollständig fühlt. Aber keine Scheiternde sein will. Und so darf sie final aus ihrem tierischen Übergangskörper erwachen, irgendwie die Autorin des gerade erlebten Stücks sein und aus dem Manuskript einer zur Mutter geläuterten Frau vorlesen.
Sie hat sich also wieder voll unter Kontrolle und an die Vernunft geheißene gesellschaftliche Vorgabe angepasst. Was sich ästhetisch reizvoll vermittelt. Rhythmisch animierende Musik lässt alle Figuren immer wieder zum Tanz aufbrechen, um auf halbem Weg einer sich andeutenden Choreografie bei der Pantomime stehen zu bleiben. Aufbruchsbewegungen in Haltungen erstarren zu lassen. Ein Lehrstück des Scheiterns.
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