Theaterstück über vernachlässigte Kinder: Der Blues der Sozialarbeiterinnen
"Kaspar Häuser Meer" am Theater Freiburg: Ausgangspunkt des Stückes sind der "Fall Kevin" und Gesprächsprotokolle mit drei Sozialarbeiterinnen.
Ausgangspunkt für das Stück "Kaspar Häuser Meer", das Felicia Zeller im Auftrag des Theaters Freiburg geschrieben hat, war der "Fall Kevin": Kevin war ein zweijähriger Junge, der unter der Beobachtung des Jugendamtes stand. Das verhinderte nicht, dass er im Herbst 2006 tot aus dem Kühlschrank seines Ziehvaters geborgen wurde. Sein Schicksal führte zu einer Debatte um Kindesmisshandlung und Versäumnisse von Seiten der zuständigen Ämter.
In ihrem Stück "Kaspar Häuser Meer", das jetzt in Freiburg uraufgeführt wurde, geht es Felicia Zeller nicht darum, jemandem den Schwarzen Peter zuzuschieben. Nicht den Eltern, nicht dem Umfeld der grauen Fassaden an den Rändern der Städte - und auch nicht den Jugendämtern und ihren Sozialarbeitern. Nicht die Misshandlungen stehen im Zentrum ihres sprachgewaltigen Textes. In ihren Recherchen hat Felicia Zeller Sozialarbeitern zugehört, sich in ihren Internetforen umgesehen und daraus ein Stück für drei Frauen geschrieben. Drei Sozialarbeiterinnen, die alle drei ihre eigenen Probleme haben und sich zugleich im ständigen Kampf gegen die Zeit befinden. "Man müsste ihnen doch helfen - aber man kann ja auch nicht allen helfen." Das sind die Pole, zwischen denen sich die Handlung bewegt. Eine Handlung, die zugleich die Unfähigkeit zu handeln in sich trägt.
Björn, einer der Kollegen, ist krankgeschrieben, Burnout. Die Stelle wird "vorläufig" nicht besetzt. Seine Fälle werden von Silvia, Anika und Barbara übernommen. Zum Beispiel die Akte "Wutz", eines Vaters, der nun an einem Methadonprogramm teilnimmt und deshalb wieder für seine kleine Tochter sorgen will. Oder die Akte "Faden", einer Familie mit acht Kindern, von denen sieben im Heim leben. Seit sechs Jahren. Aber die Familie hat jetzt den Bauschutt weggeräumt, Zimmer renoviert und will vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ziehen.
Silvia, Anika und Barbara tun, was sie können. Doch Anika (Britta Hammelstein) rückt immer mehr selber in den Fokus des Jugendamtes, da die Erzieherinnen des Kindergartens ihrer Tochter Misshandlungen wittern: nie wird das Kind pünktlich abgeholt, oft hat es blaue Flecken und neulich fehlte sogar die Ecke eines Schneidezahns. Aber dafür arbeitet Anika auch zu Hause Fälle auf. Silvia (Bettina Grahs) hat morgens schon eine Fahne und kompensiert Ausweglosigkeiten durch das Spielen von Solitaire. Und die Dienstälteste, Barbara (Rebecca Klingenberg), lebt nach dem Motto "Erfahren durch Erfahrung" und hat "alles im Griff"; so sehr, dass sie jeden zweiten Satz mit einem "Oh!" beginnt und sich nach einer Bach-Kantate mit dem Titel "Oh! Lass mich in Ruhe Welt, ich bin nicht da" sehnt. Wenn den Damen das Geschehen über den Kopf wächst, dann lesen sie einfach noch einmal ihre Notizen durch. Und noch einmal und noch einmal.
Es ist dieses repetitive Handeln und Sprechen, das den Text von Felicia Zeller ausmacht. Hektische, elektrisiert vorgetragene Monologe wechseln sich mit gebetsmühlenartig unisono abgesungenen Wiederholungen ab, die wie Inseln der Verlangsamung im Stück treiben. Eine skurril anmutende und sarkastische Phrase jagt die nächste. Anfangs wirkt manches flach und lustig dahingesagt. Doch mit seinem Fortschreiten, mit der Gewöhnung an den Geschwindigkeitsrausch der Sprache und das nicht selten eckige Unisono, kommt das Stück bei der zentralen Frage an: "Warum machen die das?"
Warum nehmen Menschen wie Sozialarbeiter diesen Kampf auf, was gibt ihnen noch Kraft, wie schaffen sie den Spagat zwischen Ängsten, dem ewigen "zu spät", den Regeln, dem Engagement und dem normalen Alltag? Wo läuft die Grenze zwischen dem Fehlen von Seife im nicht vorbildlich geführten Haushalt und der Misshandlung Schutzbefohlener?
Eindringlich und auf mitreißende Weise immer konkreter werdend, führt die Inszenierung von Marcus Lobbes (Regie) und Josef Mackert (Dramaturgie) in diese Auseinandersetzung hinein. Die drei Schauspielerinnen glänzen dabei. So minimalistisch, drastisch und verfremdend, wie ihre Bewegungen, die aus ganz anderen Kontexten zu kommen scheinen, ist auch der Raum: Eine gelb gestrichene, türenlose Box, kein Möbel erinnert an eine Amtsstube. Nur drei Notizblätter zieren die Wände. Dahinter läuft die Videoprojektion eines Egoshooters im Häuserkampf ab, als gelte es, eine krasse Variante der "Notfallintervention" als Folie aufzuspannen.
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