Theaterstück "Marat": Kniefall vor dem Kapital

Hamburgs Kultursenatorin wollte Teile einer Aufführung verbieten, weil die Namen einiger Millionäre vorkamen. Ein bizarres Stück über die Vermischung von Kultur und Politik.

Szene aus der umstrittenen "Marat"-Aufführung am Hamburger Schauspielhaus. Bild: dpa

Eigentlich ist das ja ein sehr schöner Vorgang: Es wird öffentlich über Theater gestritten. Und zwar nicht nur unter Kulturinsidern, sondern auch in Politiker- und Wirtschaftskreisen, denen derlei sonst eher mäßig am Herzen liegt. Wovon die Rede ist? Von Volker Löschs Inszenierung "Marat, was ist aus unserer Revolution geworden?", die am vorigen Freitag am Hamburger Schauspielhaus Premiere hatte. Ein Stück über das Scheitern von Revolutionen, in Szene gesetzt von einem Regisseur, der für seine plakativen Inszenierungen, für seine Kapitalismuskritik und die Zuspitzung auf lokale Kontexte bekannt ist.

Für Hamburg hatte er sich etwas besonders Feines ausgedacht: Die Namen von 28 Hamburger Millionären wollte er im Epilog verlesen lassen - und zwar, wie es seine Art ist, von "echten", eigens bestallten Hartz-IV-Empfängern. Doch daraus wurde nichts: Vier der Betroffenen drohten mit einer einstweiligen Verfügung und wurden deswegen ausgespart. Auch der Publizist und Mäzen Jan Philipp Reemtsma hat inzwischen nachgezogen.

Die restlichen 23 Betuchten wollte eigentlich Hamburgs Kultursenatorin Karin von Welck (parteilos) verschweigen lassen: Wenige Stunden vor der Premiere hatte sie den Schauspielhaus-Intendanten Friedrich Schirmer aufgefordert, den Epilog zu streichen, um "das gute Verhältnis der Sponsoren zur Kultur nicht zu gefährden", wie sie es formulierte. "Ein ungeheuerlicher Vorgang von Einmischung, den ich so noch nie erlebt habe", kontert Schirmer. Er weigerte sich, den Text zu ändern; die Quittung kam wenige Tage später: Per Fax äußerte sich von Welck empört über die in ihren Augen unfaire und selbstgefällige "Anprangerung von Einzelpersonen". Die seien nämlich allesamt "große Wohltäter Hamburgs".

Wenn man davon absieht, dass die Senatorin damit unterstellt, dass Reichtum etwas Verruchtes sei - was die Inszenierung nicht explizit behauptet -, ist dies eine befremdliche Vermischung von Amtsinhaberin und Privatperson. Von Welck hatte sich nämlich - mit Senatsbriefkopf - angeblich als "Bürgerin" geäußert. Ein bizarrer Fall von Amtsmissbrauch. Dass sie zudem im Nachhinein bestreitet, die Absetzung des Epilogs gefordert zu haben, ist eine weitere Pikanterie, die zeigt, wie angeschlagen sie derzeit ist: Die Verteuerung des Prestigeprojekts Elbphilharmonie wird auch ihrer Behörde angelastet, und sie ist dringend auf Sponsoren angewiesen. Mag also sein, dass die Senatorin nichts anbrennen lassen wollte. Doch so ehrenwert das sein mag: In ihrem Vertrag steht wohl kaum, dass sie die Wirtschaft vor der Kultur zu schützen hat - koste es, was es wolle.

Im vorliegenden Fall hat es die Senatorin vor allem an Image gekostet. Denn von Souveränität und Demokratieverständnis zeugt es nicht, wenn sich Politiker als Zensoren versuchen und Intendanten wie Schuljungen abmahnen.

"Sollen potenzielle Sponsoren bestimmen, was auf der Bühne gespielt wird und was nicht"?, fragt Intendant Schirmer dann auch irritiert. Und ob es denn verboten sei, ein Stück zu spielen, das auf die Tatsache verweise, dass sich unsere Gesellschaft "auf scharfe Weise in Arm und Reich scheidet".

Nun, was Hamburg betrifft, muss man sagen: Ja, es ist anscheinend verboten - wobei fraglich ist, ob die verbliebenen 23 Millionäre das genauso verbissen sehen wie ihre Senatorin. Denn etliche von ihnen sponsern tatsächlich Kultur und dürften mit deren kritischem Diskurs vertraut sein. Das eigentlich Frappierende an dem Vorgang ist aber dessen Schizophrenie: Ausgerechnet Hamburg, ansonsten so stolz auf seine Millionäre, die Museums- und Universitätsanbauten sowie die Elbphilharmonie ermöglichen, will deren Namen plötzlich nicht hören. Jedenfalls nicht aus dem Mund "echter" Arbeitsloser.

Was will uns also diese Posse sagen? Erstens: Politiker sind machtbewusst und opportunistisch, aber das wussten wir schon. Zweitens: Das Theater ist nicht tot. Es kann hochpolitisch sein und einen brennenden Diskurs entfachen. All das haben Intendant und Regisseur sicher geahnt. Dass aber die Creme der Weltstadt Hamburg - beziehungsweise deren selbst ernannte Büttel - so dünnhäutig reagieren würde, das ist eine geradezu befreiende Erkenntnis. Volker Lösch hat mit seinem Probeaufstand der Armen offenbar den wunden Punkt getroffen. Und die Politik dazu gebracht, sich in einer Art zu entblößen, die niemand, der etwas bei Verstand ist, für möglich gehalten hätte.

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