Theaterferien-Betrieb: Tischlern für die Bühne
Im Sommer, in der vorführungsfreien Zeit, wenn die Zuschauer urlauben und die Schauspieler ihre Stücke proben, wird in der Werkstatt des Hamburger Thalia-Theaters am Bühnenbild gebastelt. Ein Besuch bei den heimlichen Künstlern in der Tischlerei.
HAMBURG | taz Laut kreischt die Drechselbank. Holzstaub wirbelt, Bretter knirschen, Späne fliegen durch die Luft. In Haufen fallen sie, geräuschlos, zu Boden. Christian Griems Hände fixieren den Spindelstock, spannen ein neues Tischbein ein, fräsen es mit einer Kerbe in Form.
Ihm über die Schulter lugt Peter Bruns, der Leiter der Tischlerei des Thalia-Theaters. Stolz ist er auf seine neue Maschine, die wuchtige Drechselbank, die man extra für "Macbeth" angeschafft hat. Im Oktober feiert die Tragödie von William Shakespeare Premiere am Hamburger Staatstheater, im großen Haus am Alstertor. Schon am 2. September aber wird sie an der Ruhrtriennale in einer alten Zeche in Gladbeck uraufgeführt. Die Zeit drängt. Wenn die Vorführungen ruhen, die Zuschauer urlauben und die Schauspieler proben, wird in der Theaterwerkstatt geschuftet.
Ausstattungsleiterin Annette Kurz hat ein aufwendiges Bühnenbild entworfen: 120 Tische, übereinandergestapelt, ineinander verhakt, erheben sich sechs Meter hoch bis unter die Decke. Die Werkstatt ist damit räumlich ausgelastet. Kunstlicht erhellt den Raum, der eine Etage über dem Theatersaal liegt und groß ist wie eine Fabrikhalle. Auf dem Fußboden verstreut liegen einige Schrauben, an den Wänden stehen schwere Maschinen und riesige Leitern. In die Ecken sind Fragmente alter Bühnenbilder gequetscht, von denen man sich noch nicht hat trennen können.
In der Mitte des Raumes steht Peter Bruns, gebeugt über Zeichnungen und Pläne, vor sich ein kleines Kartonmodell im Maßstab 1:25. Jedes Tischchen, jetzt auf wenige Zentimeter geschrumpft, trägt einen kleinen Buchstaben. So wird unterschieden, wie die Tischbeine geschwungen sein sollen. Denn ein jeder Tisch soll einzigartig werden und einen "morbiden Charme" entfalten, wie Bruns sagt. Neu zu erschaffen, was alt wirken soll, ist die Kunst seiner Abteilung. Hätte er sich die Tische bei Antiquitätenhändlern zusammensuchen müssen, hätte das Thalia-Theater ein Vielfaches bezahlen müssen. Geld, das nicht mehr wie früher zur Verfügung steht. "Wir haben den Gürtel enger schnallen müssen", sagt Bruns. Selbst Ikea wäre teurer geworden.
Am Modell erklärt Bruns seinen Mitarbeitern die genaue Position eines Tisches, der schräg in der Luft schweben soll. Alexander Wolff, der Tischlermeister mit dem wilden Lockenschopf, hört aufmerksam zu, dann beginnt er zu bohren, zu schrauben und zu nageln. Bruns streicht mit den Fingern über die Tische, die aus dem eine Etage höher liegenden Malsaal zurück in die Werkstatt geliefert worden sind. Dort hat man sie mit Patina bestrichen und mit einem rauen Brett Gebrauchsspuren fingiert. Die Tische wirken, wie sie sollen: antik. Bruns lächelt zufrieden.
Seit zwölf Jahren ist der 39-Jährige Leiter der Thalia-Tischlerei. Im niedersächsischen Peine aufgewachsen, wollte er als Kind Pfarrer werden. Irgendwann aber hat ihn der missionarische Eifer verlassen. Während seines Zivildienstes in der Lüneburger Heide bastelte und tischlerte er mit psychisch Kranken, und in ihm wuchs der Entschluss, sein Talent zum Beruf zu machen. "Auch als Leiter der Tischlerei kann ich aber manchmal als Seelsorger walten", sagt Bruns. Schließlich arbeiteten hier 14 Tischler täglich acht Stunden unter einem Dach, immer nah aufeinander, fast ohne Kontakt zur Außenwelt. Eine Theaterwerkstatt ist ein ganz eigener Kosmos.
Hoch oben, unter der Decke des Ateliers, klettert Tischler Michael Friedrich affengleich über die Gerüste. Alexander Wolff zurrt derweil einen Tisch fest und lässt ihn am Hebekran langsam in die Lüfte steigen. Die beiden scheitern beim Versuch, das Möbel auf der höchsten Ebene des Bühnenbildkonstruktes zu fixieren. Der Tisch stößt an die Decke. Bruns grinst, Sorgen macht er sich keine. "Handwerkliche Schwierigkeiten spornen uns an", sagt er. Seine Leute werden eine Lösung finden, wie immer.
Selbst tischlert Bruns nur noch selten. Sein Reich ist das Büro, das an die Werkstatt anschließt. Hier berät er sich mit Bühnenbildnern, zeichnet Pläne, bestellt Materialien, tüftelt, koordiniert und entscheidet. In der Werkstatt Regie zu führen braucht er nicht, seine Darsteller wissen genau, welche Rolle sie zu erfüllen haben. Drei Meister, neun Gesellen und zwei Azubis hobeln, hämmern und schmirgeln. Ein jeder Tisch ein kleines Kunstwerk.
Ein liebstes Theaterstück hat Peter Bruns nicht, aber das Schauspiel schätzen gelernt hat er in seinen 15 Jahren am Thalia-Theater schon. Mit Annette Kurz, der Bühnenbildnerin von "Macbeth", arbeitet er gerne zusammen, weil sie aufwendige Inszenierungen mag, bühnenfüllende Holz- und Stahl-Installationen. Bei Katrin Brack, verantwortlich in diesem Frühjahr etwa für "Antigone" von Bertolt Brecht, hatte er einen schwereren Stand: Die berühmte Bühnenbildnerin setzte lieber auf Effekte, auf Konfetti oder Kunstnebel - da gibt es für einen Tischler wenig zu bauen. Auf die Premiere von "Macbeth" freut sich Bruns hingegen schon jetzt. "Ein fertiges Bühnenbild ist für mich wie ein Baby, das man zum Laufen gebracht hat", sagt er. Da lasse er sich nicht entgehen, wie das Premierenpublikum reagiert.
Die Vorstellungen könne er zum Glück ohne Nervosität genießen, sagt er. "Wenn ein Vorhang zu spät fällt oder eine Wand im falschen Moment rein getragen wird, trifft mich ja keine Schuld."
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