The Enemy-Sänger: "Wer mich Promi nennt, bekommt aufs Maul"
Sänger Tom Clarke ist 19 Jahre alt und mit dem Album "Well Live And Die In These Towns" an der Spitze der britischen Charts. Ein Gespräch über Erfolg und Haltung.
taz: Sie haben eben die Nachricht bekommen, dass Ihr Album auf Nummer 1 in den britischen Charts eingestiegen ist. Hat die Torte geschmeckt?
Tom Clarke: Der Kuchen war eine schöne Überraschung. Und der Anlass für den Kuchen eine noch schönere. Wir wussten zwar, dass die Platte würdig für eine Nummer 1 wäre, aber es dann tatsächlich zu schaffen, das ist eine ganz andere Geschichte.
Sie haben der Presse kürzlich mitgeteilt: "Ich glaube nicht an Helden, weil sie alle scheiße sind." Nun sind Sie dabei, selbst Helden zu werden.
Der neueste heiße Scheiß aus dem Vereinigten Königreich hält Hof. Der Geruch des Erfolgs hängt im Hotelzimmer. Es duftet nach Sahne und Zucker, die Plattenfirma hat eine Torte spendiert, weil das Debütalbum von The Enemy aus dem Stand die Spitzenposition der britischen Charts erreicht hat. Mit "Well Live And Die In These Towns" (Warner) gelang dem Trio aus Coventry eine perfekte Symbiose aus respektvoller Heldenverehrung, traditioneller Britishness und unwiderstehlichem Jugenddrang. The Who, Beatles und Oasis gibt Sänger, Gitarrist und Songschreiber Tom Clarke (19) als ehemalige Lieblingsbands an, von The Jam, mit denen die blutjunge Band stets verglichen wird, aber will er erst vor kurzem etwas gehört haben. Das Ergebnis ist trotzdem der feinste Kitchen-Sink-Pop dieser Saison, ein ebenso verzweifelter wie eingängiger Hilferuf aus dem tristen Arbeitsalltag: "Im so sick, sick, sick and tired/ Of working just to be retired".
Ich glaube, bei uns besteht keine Gefahr, dass wir zu Helden werden. Was ist denn überhaupt ein Held? Ich glaube, dass jeder normale Mensch, der einer ganz normalen Tätigkeit nachgeht, eine Inspiration sein kann. Nur diese Berühmtheiten, deren Berühmtheit sich auf nichts gründet, diese Leute in den Magazinen, diese Sorte Helden ist scheiße.
Aber auch Sie werden demnächst in diesen Magazinen landen und prominent sein.
Ich befürchte, dem Ersten, der mich einen Promi nennt, werde ich eine aufs Maul hauen. Aber ich glaube, man wird nur dann ein verfickter Prominenter, wenn man das auch akzeptiert. Ich aber werde das nie akzeptieren. Ich bin Tom Clarke, ich bin aufgewachsen in Birmingham, ich lebe in Coventry, und ich bin, was ich bin.
Ihre Väter und zum Teil schon Ihre Großväter haben für die Automobilindustrie gearbeitet, für Peugeot und Jaguar, die immer mehr Arbeitsplätze in Coventry abgebaut haben. Sie selbst haben früher Fernseher verkauft. Wann haben Sie den Job aufgegeben?
Im April des vergangenen Jahres. War ein seltsamer Moment. Zuerst ist man völlig ekstatisch: Man hat es endlich geschafft. Das ist es, was man immer wollte. Und im gleichen Moment bekam ich einen Riesenschiss, weil ich ja meinen Job hinschmiss. Denn auch wenn es ein Scheißjob war, hatte ich 34 Vorstellungsgespräche gemacht, bevor ich ihn bekommen habe. Und in diese Situation möchte ich nie wieder kommen, dass mir 34-mal gesagt wird, dass ich nichts wert bin. Absurderweise kann es ziemlich angsteinflößend sein, seinen Traum leben zu müssen.
War es immer Ihr Traum?
Schon lange. In meinem letzten Schuljahr kam jemand zur Jobberatung in unsere Schule. Er fragte mich, was ich werden wolle, und ich antwortete: Irgendwas mit Musik, das ist meine Leidenschaft. Er blätterte derweil durch meine Akte, lehnte sich zurück und sagte dann: Deine Englischnoten sind in Ordnung, du könntest in der Verwaltung von Jaguar arbeiten. Eigentlich müsste man in dem Moment das Büro auseinandernehmen, die Akte zerreißen und den Typen verprügeln. Stattdessen nimmt man es hin, büßt das bisschen Selbstvertrauen ein und verliert seine Träume aus den Augen.
Obwohl Coventry so ein erbärmlicher Ort ohne Perspektive ist, haben Sie der Stadt mit Ihrer Platte ein Denkmal gesetzt.
Viele, die die Platte hören, werden gar nicht wissen, dass die Songs von Coventry handeln. Für uns ist Coventry einfach unser Zuhause. Und als wir anfingen, Songs zu schreiben, war klar, dass wir uns und unsere Umgebung beschreiben würden. Keiner von uns war groß aus den Midlands herausgekommen. Erst als wir auf Tour gingen und andere Städte kennenlernten, wurde uns klar, dass es anderswo in Großbritannien ziemlich genauso aussieht, dass es dort dieselben Probleme gibt.
Sind Sie stolz auf Ihre Herkunft?
Arbeiter reden nicht über ihre Herkunft oder über das Klassensystem, sie sind einfach Arbeiter und leben damit. Aber ja: Ich denke, ich stamme aus der Arbeiterklasse. Hätte ich keine Fernseher verkauft, wäre ich verhungert. Das macht dich, denke ich, Teil der Arbeiterklasse.
Die Haltung, die aus dieser Herkunft erwächst, ist sehr wichtig für Ihre Musik. Wie schwierig wird es sein, diese Haltung zu bewahren trotz des Erfolgs?
Der Schlüssel, erfolgreich zu sein, im Leben genauso wie als Band, ist es, niemals zu vergessen, woher man kommt. Das Leben ist eine Reise, und die Lektionen, die man auf dem Weg lernt, die machen einen zu dem Menschen, der man ist. Bei unseren ersten Proben haben wir für den Übungsraum pro Stunde 8 Pfund gezahlt, und das zu einem Zeitpunkt, als wir 4 Pfund pro Stunde verdienten. Bis heute kotzt es mich an, wenn ich einen Typen auf einer Bühne sehe mit einem schicken Hütchen, dem ich ansehe, dass seine Eltern ihm die Musikschule gezahlt haben.
Haben Sie das Gefühl, dass es einen Aufbruch in der britischen Musikszene gibt, und sind Sie Teil davon?
Ich weiß nicht, ob wir irgendwo dazugehören. Und es ist mir auch egal. Retrospektiv ist es immer einfach zu sagen, diese Band gehörte zu jener Bewegung, aber aktuell ist kaum zu beurteilen, wer welche Rolle in der Musikgeschichte spielen und wo unser Platz sein wird.
INTERVIEW: THOMAS WINKLER
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