"The Clash"-Interviewband: Gott schütze Königin, Krawall + Glamour
Politischer als die nihilistischen Sex Pistols: Die britischen Punkpioniere von The Clash waren mehr als eine Agitpropband. Ein Fanbuch zeichnet ihre Geschichte nach.
Als der britische Journalist Jon Savage die Clash Ende Oktober 1976 im Konzert sieht, notiert er in sein Tagebuch: "Plötzlich gehen vier Männer mit kurz geschnittenen Haaren auf die Bühne, bellen in ein Mikrofon und machen Krach. Der Krach verschmilzt mit dem Tempo zu vollkommenem Chaos. Nach 10 Sekunden bin ich wie versteinert, nach 30 hat sich mein Leben für immer verändert." Das ist der Stoff, aus dem die Mythen sind.
1976 braut sich in London in kleinen Zirkeln von musikverrückten und aus der Umlaufbahn des normalen Lebens geworfenen Jugendlichen um die Sex Pistols, The Damned, The Clash etwas zusammen. Mit ihren aufrührerischen Songs werden sie innerhalb weniger Monate zur Stimme einer ganzen Generation, die radikaler als selbst die 68er alles in Frage stellt. Aufgewachsen in der britischen Nachkriegsgesellschaft, die in einer Krise steckt und ihnen nur "No Future" zu bieten hat.
Im ungewöhnlich heißen Sommer 1976 herrscht in England Untergangsstimmung. Schulabgänger finden keine Jobs und die Arbeitslosigkeit ist so hoch wie nie zuvor seit 1945. Die Regierung streicht die Sozialausgaben zusammen.
Das alles steht nicht in einem neuen, schlicht "The Clash" betitelten Buch über die britischen Punkpioniere. Von einem Fanbuch kann man allerdings auch kaum erwarten, dass es soziale Hintergründe reflektiert. Nun haben aber The Clash in ihren Songs den Lebensnerv einer Jugend getroffen und den sozialen Zusammenbruch Großbritanniens besungen.
Undistanziert und trotzdem gut
Trotzdem ist "The Clash" als Fanbuch empfehlenswert, denn es kommen ausschließlich die vier Bandmitglieder zu Wort. Die langen Interviewpassagen sind jeweils bestimmten Ereignissen – Songs und Konzerten – zugeordnet. Der distanzierte Blick fehlt, aber man hat trotzdem nicht das Gefühl, kostbare Zeit mit Selbstbeweihräucherungen zu verplempern.
Der Clash-Gitarrist und -Sänger, der 2002 verstorbene Joe Strummer ist dabei Hauptkommunikator der Band. Er schrieb auch die meisten Texte. Der andere Gitarrist, Mick Jones, ist der Musikbegabteste, der die Melodien zu den Texten beisteuerte. Bassist Paul Simonon ist der Poser und Drummer Topper Headon der Drogenfreak.
Ende 1977 begleitet der US-Journalist Lester Bangs The Clash auf einer England-Tour, weil Bangs einen "beharrlichen Humanismus" in ihnen verwirklicht sah. The Clash pflegen einen egalitären Kontakt zu ihren Fans und Bangs glaubt, durch die Band einen "flüchtigen Blick auf eine bessere Welt" wahrgenommen zu haben.
Je bekannter die Band jedoch wird, desto weniger lassen sich die Ideale aufrechterhalten. The Clash haben es mit dem Song "Guns of Brixton", einem Aufruf zum bewaffneten Widerstand, immerhin in die Charts geschafft. Julie Burchill und Tony Parsons, beide damals beim New Musical Express, schreiben in ihrem Buch "The Boy Looked At Johnny", dass The Clash die erste Band gewesen sei, "die soziale Regellosigkeit als Marketingtechnik benutzte", um ihre Produkte zu platzieren.
Joe Strummer und Paul Simonon, die in einem besetzten Haus wohnen, erlebten den Krawall am Notting-Hill-Carneval in London am 31. August 1976, der Joe Strummer zu dem Song "White Riot" inspiriert. Vom Nihilismus der Sex Pistols unterscheiden sich The Clash mit ihrer dezidiert politischen Haltung, die auch ihre absurd-dilettantischen Seiten hat, wenn Joe Strummer über die Schwierigkeit erzählt, ein Auto abzufackeln.
Weit davon entfernt, nur eine simple Agitpropband zu sein, haben The Clash Stil und Ausstrahlung, in denen politischer Widerstand und Glamour zusammengehen. Und mit "The Clash" kann man sich Backstage begeben und in diesem längst verloschenen Glanz noch ein bisschen schwelgen, konserviert durch grandioses Foto- und Textmaterial.
The Clash: The Clash (Übersetzung Violetta Topoleva); Heyne, 408 Seiten, 16,99 Euro
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Berliner Sparliste
Erhöht doch die Einnahmen!
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid