: Textmikado und Skulpturenplausch
■ Kampnagel nimmt mehrere Produktionen von Hamburger freien Gruppen wieder auf
Viele praktische Gründe mögen dagegen sprechen, aber eigentlich ist es schade, daß Kampnagel nicht kräftiger aus seinen Annalen schöpft. Sicherlich ist ein Repertoire-Theater mit in Hamburg produzierten Stücken freier Gruppen nicht realisierbar. Aber viele Projekte der Vergangenheit könnten durchaus regelmäßiger gezeigt werden. Das würde einen kompakteren Spielplan und mehr Aufmerksamkeit seitens des Publikums bringen. Denn es ist ja keineswegs so, daß es nicht genug vorzeigbare Arbeiten gäbe.
Einige Beispiele werden die nächsten Tage wiederaufgenommen. Wobei Max Eipps Adaption von Elfriede Czurdas Roman Die Giftmörderinnen sicherlich zu dem Besten gehört, was Kampnagel an Eigengewächs zu bieten hat. Die rhythmisierte Textcollage über die Leidensgeschichte einer ehegequälten Frau, die schließlich ihren Mann vergiften muß, ergibt ohne übermäßigen Aufwand einen spannenden, einfallsreichen und höchst unterhaltenden Theaterabend.
Die mit Psychoterror, Inzest und anderen Grausamkeiten aufgeladene Geschichte wird von den Prot-agonistinnen in der dritten Person erzählt, Projektionen und klug eingesetzte Atmosphären geben der mörderischen Entwicklung subtile Reichhaltigkeit. Mit Petra Bogdahn, Beate Ehlers und Petra Wolf hat Eipp das Stück mit drei Schauspielerinnen erarbeitet, die sein Textmikado kongenial umsetzen.
Ebenfalls fragmentarisch in der Anlage, aber etwas schwieriger zu goutieren ist das zweite wiederaufgenommene Stück dieser Woche, Unterbrechen Sie mich nicht, ich schweige. Grundlage dieser Inszenierung von Birgitta Linde sind Texte des russischen Spätabsurden Vladimir Kasakov. Der in der SU totgeschwiegene Erbe von Charms und Vvedenskij blendet in seiner Literatur die Armseligkeit des russischen Daseins für groteske Inszenierungen der Alltäglichkeit aus.
Linde komponiert aus diesem Material eine „Vorstellung für einen Schlagwerker auf drei Schauspielern“, so der Untertitel. Christian von Richthofen erweckt mit seinen Trommelstöcken drei in einem Teepäuschen versteinerte Figuren zu kurzzeitigem Leben. Luft und Zeit reicht stets nur für wenige Silben, Worte, Sätze, aber aus der Entwicklung und Zusammensetzung der Kommunikation entsteht ein meditativ-heiteres Gespräch. Marion Martienzen, Ulrich Cyran und Max Eipp spielen die Skulpturen.
Die Reihe mit Wiederaufnahmen wird nächste Woche mit Gilla Cremers Solo Die Kommandeuse fortgesetzt, in dem sie sich mit der Psyche der schauerlich berühmt gewordenen Frau des KZ-Kommandanten von Buchenwald, Ilse Koch, auseinandersetzt. Die Gruppe babylon wird dann Ende Februar noch ihre Werner-Schwab-Stücke Die Präsidentinnen und MARIEDL/ Antiklima(x) aufführen. tlb
„Giftmörderinnen“ (k1) und Kasakov (k4) ab Mittwoch täglich, „Die Kommandeuse“ ab 7. Februar
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen