Teure Nebenwirkungen

Der Pharmakonzern Merck nimmt Medikament wegen erhöhter Gesundheitsrisiken vom Markt. Die Nebenwirkungen des Megasellers wurden aber nur zufällig entdeckt

BERLIN taz ■ Für den US-Pharmakonzern Merck & Co ist die weltweite Rücknahme eines seiner umsatzstärksten Medikamente ein schwerer Schlag. Kurz nachdem Merck am Donnerstag bekannt gab, dass das Arthritismittel Vioxx wegen Sicherheitsbedenken in über 80 Staaten vom Markt genommen werde, brach der Kurs für die Merck-Aktie um zeitweise fast 27 Prozent ein. Einer firmeneigenen Studie zufolge soll die längerfristige Einnahme des Medikaments mit einem erhöhten Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall verbunden sein. In den USA wurde deshalb bereits eine erste Schadenersatzklage eingereicht.

Das erst 1999 zugelassene Medikament mit dem Wirkstoff Rofecoxib war auch in Deutschland auf dem Markt. Das hier von MSD Sharp & Dome vertriebene Arzneimittel war für die Behandlung von Arthrose, rheumatischer Arthritis und zur Schmerzlinderung zugelassen. Etwa 120.000 Menschen würden in Deutschland derzeit damit behandelt, gab der medizinische Direktor von MSD, Ottfried Zierenberg, bekannt. Nach Angaben von Merck ist der Megaseller allein in den USA seit der Zulassung über 90 Millionen Mal verschrieben worden.

Trotz millionenfacher Anwendungen kamen die von Merck angeführten Sicherheitsbedenken eigentlich nur zufällig heraus. In einer dreijährigen Vergleichsstudie wollte Merck Hinweise überprüfen, ob der Wirkstoff Rofecoxib auch die Entstehung von Darmpolypen verhindert. Rund 2.600 Probanden, die entweder Vioxx oder ein Placebo bekamen, nahmen daran teil. Das Nebenergebnis der Studie veranlasste Merck zu der Rückrufaktion: Die Anzahl der Herzinfarkte, Schlaganfälle und anderer Gefäßkrankheiten war bei den mit Vioxx behandelten Patienten im Vergleich zu der Placebo-Gruppe doppelt so hoch. Das erhöhte Gesundheitsrisiko tritt jedoch erst nach längerer Medikamenteinnahme auf, und zwar nach 18 Monaten.

Nach Ansicht von Merck habe sich damit gezeigt, dass das Sicherheitssystem in der Pharmabranche funktioniere. Doch Kritiker sehen gerade in der Langzeitwirkung von Medikamenten beträchtliche Lücken. Denn in den klinischen Studien, die für die Marktzulassung durchgeführt werden müssen, wird nicht untersucht, welche Nebenwirkungen auftreten, wenn das Medikament über Jahre oder Jahrzehnte eingenommen wird. Und ist das Medikament erst einmal zugelassen, sind die Pharmaunternehmen nicht verpflichtet, weitere kontrollierte Studien durchzuführen. WOLFGANG LÖHR