: Teufelswerk Presse
Im Jemen versuchen oppositionelle Islamisten, gegen angeblich gotteslästerliche Zeitungen und blasphemische Journalisten zu klagen
von CHRISTOPH DREYER
In der jemenitischen Öffentlichkeit ist eine erbitterte Auseinandersetzung um Pressefreiheit und Religion entbrannt. Was als Kampagne gegen eine einzelne Zeitschrift begann, hat sich zu einem öffentlichen Schlagabtausch ausgeweitet, an dem Parteien, Journalisten, Moscheeprediger und Politiker beteiligt sind. Manche Beobachter fürchten ernsthaften Schaden für die Pressefreiheit.
Begonnen hatte alles mit einer Anzeige Unbekannter gegen den Chefredakteur der Kulturzeitschrift Al-Thaqafiyya, Samir al-Yusufi, der Auszüge aus einem angeblich gotteslästerlichen Buch veröffentlicht haben soll. Zeitgleich begannen die Prediger mehrerer Moscheen in Sanaa und anderen Städten eine Hetzkampagne gegen die Zeitschrift.
Dass der Abdruck der Auszüge aus dem Buch „Sanaa Madina Maftuha“ (Sanaa – eine offene Stadt) schon Wochen zuvor begonnen hatte, schien dabei ebenso wenig zu stören wie der Umstand, dass das Werk des längst verstorbenen Autors Muhammad Abdelwali seit Jahrzehnten frei erhältlich ist – Anlass des Abdrucks war das Erscheinen der sechsten im Jemen verlegten Auflage.
Bald wurde in politischen Kreisen spekuliert, hinter der Kampagne stecke die islamistische Islah-Partei, die mit Abstand wichtigste Opposition im Jemen. Denn die schärfsten Angriffe gingen vom Vorsitzenden des Konsultativrates der Partei, Abdulmajid al-Zindani, aus. Der einflussreiche Politiker und Prediger wetterte in seinen Freitagspredigten gegen die angeblichen Atheisten und „vom Glauben Abtrünnige“, während die Zeitung der Islah-Partei, Al-Sahwa, die Affäre mit Blasphemievorwürfen gegen ein Magazin des Schriftstellerverbandes ausweitete.
Ziel der Angriffe ist der Informationsminister
Diese im tief religiösen Jemen ohnehin schwerwiegenden Vorwürfe gewannen dadurch noch an Brisanz, dass hinter Al-Thaqafiyya ein Unternehmen des Informationsministeriums steht. In der Folge solidarisierte sich nicht nur die Berufsvereinigung der Journalisten mit der bedrängten Zeitschrift und ihrem Chefredakteur, auch der Minister fühlte sich offenkundig persönlich angegriffen und hat mittlerweile aus Protest gegen die fortgesetzten Attacken mit seinem Rücktritt gedroht. Derweil erstatteten Angestellte des Informationsministeriums und der Regierungsmedien Anklage wegen Volksverhetzung gegen al-Zindani und drohten zeitweise sogar mit Streik, weil die Ermittlungen in dem Fall zu langsam vorangingen.
Die Einschätzungen der Affäre gehen denkbar weit auseinander. Während einige Stimmen in der Regierungspartei, dem „Allgemeinen Volkskongress“, von einem „Sturm im Wasserglas“ sprechen, sehen andere bereits eine ernsthafte Bedrohung der Pressefreiheit und verweisen auf eine Häufung von Gerichtsverfahren gegen oppositionelle und unabhängige Zeitungen, Journalisten und Schriftsteller in jüngster Zeit: Betroffen waren allein in den letzten Monaten die Zeitungen Al-Shumu’, Al-Balagh, Al-Ayam und Al-Tagammu’. Einige der Verfahren endeten mit deftigen Geldstrafen und Berufs- oder Erscheinungsverboten.
Letztlich handelt es sich wohl vor allem um eine parteipolitische Auseinandersetzung zwischen dem regierenden Volkskongress und der Islah-Partei, die offenbar versucht, durch die spektakulären Klagen gegen vermeintliche Gotteslästerer ihr religiöses Profil zu schärfen. Unabhängig vom Ausgang der andauernden Gerichtsverfahren stimmt es jedoch bedenklich, dass diese Profilierung auf dem Rücken der Pressefreiheit im Jemen stattfindet.
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