: Teufelskreis vom Gericht zerschlagen
■ Verwaltungsgericht zu bosnischen Flüchtlingen: Koppelung von Arbeit und Aufenthaltsbefugnis unrecht
Die Aufenthaltsberechtigung bosnischer Bürgerkriegsflüchtlinge ist künftig nicht mehr an die Erwerbstätigkeit gekoppelt. Das hat gestern das Berliner Verwaltungsgericht in einem Präzedenzfall am Beispiel des Bosniers Mirco Tambur entschieden. Ohne Arbeit erhielten bosnische Flüchtlinge bislang nur den Duldungsstatus, der mit erheblichen Einschränkungen verbunden ist.
Anfang des Jahres hatte Bundesinnenminister Manfred Kanther eine Neuregelung geschaffen, mit der den Flüchtlingen auch eine Aufenthaltsberechtigung erteilt werden kann: Erstens sollen sie bereits zwölf Monate in Deutschland geduldet sein, zweitens müssen sie ein Einkommen durch legale Arbeit nachweisen. Doch genau da liegt der Hund begraben, weil die Chancen auf dem Arbeitsmarkt für bosnische Flüchtlinge mit Duldungsstatus äußerst gering sind. „Da wird das Kind mit dem Bade ausgeschüttet. Es stellt sich die Frage, ob diese zweite Bedingung überhaupt rechtmäßig ist und nicht den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der im Grundgesetz verankert ist, übersteigt“, zweifelte Richter Norbert Kunath in seiner Urteilsbegründung.
Mirko Tambur lebt mit seiner Frau und zwei Kindern seit vier Jahren als geduldeter Flüchtling in Deutschland und bezieht Sozialhilfe. Mit dem Duldungsstatus darf er seinen Wohnort Berlin nicht verlassen. Tambur hätte bereits seit anderthalb Jahren als Kraftfahrer in einem Fuhrunternehmen arbeiten können, dabei aber auch nach Potsdam fahren müssen. Mit dem Duldungsstatus konnte er die Arbeit aber nicht annehmen. Weil die feste Arbeitsstelle nur in Aussicht stand, wurde Tamburs Antrag auf eine Aufenthaltsberechtigung, die keine Reisebeschränkungen vorsieht, von der Ausländerbehörde bereits zweimal abgelehnt. Deswegen klagte er jetzt.
Richter Kunath hegte erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Koppelung von Erwerbstätigkeit und Aufenthaltsberechtigung. Die Kettenduldung über mehrere Jahre sei äußerst strittig. Aus dem Ausländergesetz könne hergeleitet werden, daß die Duldung ein Jahr nicht überschreiten solle. „Niemand weiß, wie lange der Bürgerkrieg in Bosnien noch dauert und die Flüchtlinge mit dem Duldungsstatus leben müssen. Humanitäre Gesichtspunkte dürfen nicht vergessen werden“, forderte er. Ohnehin gerate der Streit um die Aufenthaltsberechtigung zu einer Farce: Laut § 32 Ausländergesetz sollen Flüchtlinge aus Bosnien seit 1991 generell eine Aufenthaltsberechtigung erhalten. „Bund und Länder sind sich aber nicht einig, wer die Kosten übernimmt.“ Der Fall Tambur ist ein Pilotverfahren. Nun stehen laut Richter Kunath zahlreiche ähnliche Fälle zur Verhandlung an, bei denen es um arbeitsfähige BosnierInnen ohne Arbeit geht. Vergangene Woche hatten bereits zwei querschnittgelähmte bosnische Flüchtlinge erfolgreich auf die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung geklagt. Dagegen legte die Ausländerbehörde Beschwerde ein.
„Ich kann endlich eine eigene Wohnung suchen“, freut sich Mirco Tambur. Zur Zeit wohnt die Familie in einem Zimmer einer Sozialwohnung, die sie sich mit einem weiteren Paar und dessen Kindern teilt. In einem Jahr darf er auch einen Wohnberechtigungsschein beantragen. Silke Fokken
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