Berliner Szene: Teufel Prokrastination
Bei der Heimarbeit
Mein Roman muss fertig werden. Ich habe so viel zu tun, ich weiß kaum noch, wo hinten und vorne ist. Die Lektorin sitzt mir mit der Peitsche namens Deadline im Nacken. Auf meiner linken Schulter sitzt das Engelein der Muse und flüstert mir Psalmen der Inspiration ins Ohr. Auf meiner rechten Schulter hockt der Teufel Prokrastination und grölt dreckige Witze. Genervt von allen dreien lasse ich meinen Blick Richtung Fenster gleiten. Mein Gott, sind die schmutzig! Das is ja peinlich!
Wo wir vorhin erst den Balkon neu bepflanzt haben. Frieda und ich waren mit dem Auto im Gartencenter. Gartenzentner, wie Frieda sagt. Schließlich musste sie den Zentner Erde die drei Treppen hochschleppen, ich darf ja nicht schwer heben. Wir haben Veilchen gekauft und Tussiblumen. So nennen wir Fuchsien, weil die so pink sind. Danach haben wir umgetopft und den ersten Balkonkaffee getrunken. Dann hab ich Frieda weggeschickt. Ich muss arbeiten.
Sind die dreckig, die Fenster! Das ist ja widerwärtig! Ich hole, ganz kurz, einen Eimer warmes Wasser, den Glasreiniger und das Fensterleder. Wie schnell das geht! Für das Fenster im Arbeitszimmer brauche ich keine halbe Stunde. Ach was soll’s! Mach ich schnell noch die restlichen!
„Mann!“, denke ich beim Putzen der Wohnzimmerfenster, „Die Gardinen wollte ich auch schon ewig mal umnähen!“ Seit Jahren schleift der Stoff auf dem Dielenboden. So eine simple Steppnaht, das geht doch ganz schnell! Ich nehme die Gardinen ab und hole die Nähmaschine.
Als mir zum zweiten Mal die Nadel abbricht, steht Paul in der Tür. „Himmel, Arsch und Zwirn!“, brülle ich.
Paul sieht mich erstaunt an. „Ich denke, du musst nächste Woche 50 Seiten abgeben?!“, sagt er. „Was machst du denn hier?“ Wütend werfe ich den Einfädler auf den Boden. „Das siehst du doch!“, brülle ich. „Ich arbeite!“
Lea Streisand
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