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"Terrorismus" und ErmittlungsmethodenDie lange Nacht der Terrorverdächtigen

In der Volksbühne plaudern vier Berliner, gegen die die Bundesanwaltschaft wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung ermittelt, aus dem Nähkästchen. Ein Sittenbild bundesdeutscher Ermittlungs- und Überwachungspraxis.

Totale Überwachung: Vier Berliner berichten, wie sie - teilweise jahrelang - von den Ermittlungsbehörden beschatten, belauscht und verfolgt werden, weil sie angeblich Mitglieder der "militanten gruppe" sein sollen Bild: ARCHIV

Als der erste der vier Terrorverdächtigen zum Mikro greift, wartet er eine professionelle Sekunde, lächelt und sagt dann: "Einen schönen guten Abend." Das Publikum in der fast voll besetzten Volksbühne klatscht vor Freude, weil es im Saal zwar dunkel ist, draußen aber hell. Was Jonas, der Terrorverdächtige, zu sagen hat, ist trotzdem eine finstere Geschichte. Zusammen mit den anderen drei Erlebnisberichten macht sie die Matinée "Wir sind alle Terroristen" eher zur langen Nacht des Terrorverdachts.

Die Geschichte von Jonas beginnt 2001. Damals startet die Bundesanwaltschaft mit den Ermittlungen gegen den Berliner und zwei seiner Freunde wegen angeblicher Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Die drei werden verdächtigt, Mitglieder der "militanten gruppe" zu sein, die zu diesem Zeitpunkt mit Brandanschlägen auf sich aufmerksam macht.

Für Jonas selbst beginnt die Geschichte erst ein Jahr später - mit einer viel zu teuren Rechnung für sein Handy. Mehrere Verbindungen nach Meckenheim werden ihm da aufgebrummt. In Meckenheim ist der Sitz des Bundeskriminalamts. "Die haben mich abgehört und mir die Kosten für meine Überwachung versehentlich in Rechnung gestellt." Wieder lacht das Publikum, doch diesmal ist es ein anderes Lachen. Meistens bleiben die Lauschangriffe der Ermittler nämlich unerkannt. Dabei können sie, wie eine Vertreterin der Volksbühne gleich zu Beginn der Veranstaltung anmerkte, "jeden von uns treffen".

Getroffen haben Sie auch Andrej Holm. Der Fall des Berliner Soziologen ging durch die Medien. Weniger bekannt ist, dass die Ermittlungsmethoden, die Holms Verhaftung am 31. Juli vorausgingen, für viele Terrorverdächtige gelten.

Jonas, der im Rahmen der Kampagne "Libertad" für die Rechte von Gefangenen streitet, schildert das "volle Programm" so: "Zunächst werden alle Telefone abgehört, in der Wohnung, mobil, auf Arbeit. Gegenüber deinem Haus wird eine Videokamera installiert. In deinem Auto wird ein GPS-Sender angebracht. Über Handyortung wissen sie, wo du bist. Sie wissen, welche Internetseiten du besuchst und sie bekommen vom Finanzamt und den Banken alle deine Abbuchungen, Steuerdaten. Dazu kommen noch Observationsteams, die dich ganz offensichtlich beschatten." Bei Jonas und seinen beiden Freunden dauerte das "volle Programm" zwei Jahre.

Für Jonas ist das Verhalten des Bundesgerichtshofs allerdings nichts minder skandalös wie die Überwachungsmethoden. "Die Bundesanwaltschaft beantragt und der Ermittlungsrichter genehmigt." Und wenn die Terrorfahnder nach drei Monaten nichts in der Hand haben, werden die Ermittlungen einfach ausgeweitet. "So entsteht", meint Jonas, "eine Eskalation der Ermittlungsmethoden."

Es sind die Details und nüchterne Einschätzungen wie diese, die die von Constanze Kurz vom Chaos Computer Club souverän moderierte Runde in der Volksbühne nicht zum linksradikalen Polittalk werden lassen, sondern zu einer wirklichen Informationsveranstaltung, die ganz nebenbei ein Sittengemälde deutscher Ermittlungs- und Überwachungsmethoden liefert.

Das gilt auch für den Umgang der Betroffenen mit der Überwachung. Als Andrej Holm aus der Haft entlassen wurde, musste er sich erst wieder an den normalen Alltag gewöhnen. "Einmal bin ich mit der S-Bahn zu weit gefahren, weil ich gedöst habe", erzählt er. "Plötzlich merke ich, wie einer in meiner Nähe telefoniert und anmerkt, ich würde nicht wie gewöhnlich am Humboldthain die S-Bahn verlassen." Die drei Monate U-Haft noch in den Knochen, ruft Andrej Holm augenblicklich zu Hause an und teilt mit, er sei versehentlich eine Station zu weit gefahren und komme gleich nach Hause. Zuvor schon hatte Jonas davon berichtet, dass er sich am Telefon inzwischen jeden Scherz abgewöhnt hatte, weil das Bundeskriminalamt selbst keine Scherze verstehe. "Wenn ich zu jemandem sage, der oder der gehört ungespitzt in den Boden gestampft, machen die sofort eine Gesprächsnotiz mit dem Vermerk: der Beschuldigte ist extrem gewalttätig."

Keine Lacher erntete dagegen Hauke, ein Westberliner Altautonomer, der angeblich Mitautor des Buches "Autonome in Bewegung" sein soll. "Aus unseren Akten geht hervor, dass nicht die Bundesanwaltschaft das Verfahren führte, sondern der Verfassungsschutz."

Noch seien beide Behörden de jure voneinander getrennt - eine Reaktion auf Hitlerdeutschland und seine Gestapo. "Wenn das neue BKA-Gesetz durchkommt", warnt Hauke, "wird auch diese Zusammenarbeit bald legal sein."

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