Terrorabwehr: Union schwelgt in Abschussvisionen
Empörung über Verteidigungsminister Jung: Dieser bekräftigte im Bundestag, ein entführtes Flugzeug notfalls zur Terrorabwehr abschießen zu lassen.
BERLIN taz Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) bleibt dabei, im Notfall ein Passagierflugzeug unter Berufung auf "übergesetzlichen Notstand" abschießen zu lassen. Er habe den Amtseid geschworen, "Schaden vom deutschen Volk" abzuwenden, sagte Jung am Mittwoch in einer Aktuellen Stunde im Bundestag. Das könne "zu tragischen und schwierigen Entscheidungen führen". Er wünsche sich aber verfassungsrechtliche Klarheit.
Jungs erneute Abschussvisionen stießen im Lager der Opposition, aber auch beim Koalitionspartner SPD umgehend auf Empörung. Einhellig verwiesen sie auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Februar dieses Jahres. Damals hatte Karlsruhe eine Regelung des rot-grünen Luftsicherheitsgesetzes beanstandet, die den Abschuss entführter Flugzeuge explizit erlaubte. Jung hatte am Wochenende in einem Interview betont, im Zweifel dennoch den Abschussbefehl zu geben.
Die Linke forderte die Entlassung Jungs. Hans-Christian Ströbele, Vizefraktionschef der Grünen, bezeichnete Jung als "Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik". Die FDP-Abgeordnete Sabine Leutheusser- Schnarrenberger warnte vor einer "Amerikanisierung des deutschen Rechts". Auch die SPD fuhr scharfe Angriffe auf das Verfassungsverständnis Jungs. "Man soll nicht über Dinge reden, die nicht geregelt werden können", sagte SPD-Verteidigungspolitiker Rainer Arnold. Die Diskussion schade der großen Koalition.
Zuvor hatte eine Meldung der Passauer Neuen Presse in Berlin für Unruhe gesorgt. Innenminister Wolfgang Schäuble habe Vorschläge zur Änderung des Grundgesetzes vorgelegt, die auch den Abschuss entführter Passagiermaschinen erlaubten, schrieb die Zeitung.
Die SPD reagierte empört - obwohl sie die Vorschläge schon lange kennt. Sie stammen aus dem September 2006. Demnach will Schäuble die Bundeswehr "auch zur unmittelbaren Abwehr eines sonstigen Angriffs auf die Grundlagen des Gemeinwesens" im Inland einsetzen, heißt es in dem Vermerk des Innenministeriums, der der taz vorliegt. Die Bundeswehr soll dann die gleichen Befugnisse haben wie bei Einsätzen zur "Verteidigung".
Konkret geht es um eine Änderung von Art. 87 a des Grundgesetzes. Dort heißt es: "Außer zur Verteidigung dürfen die Streitkräfte nur eingesetzt werden, soweit dieses Grundgesetz es ausdrücklich zulässt." Hier will Schäuble ansetzen und auch den Einsatz bei kriegsähnlichen Situationen im Innern zulassen.
Einerseits geht es ihm darum, das Urteil des Bundesverfassungsgerichts auszuhebeln. Auch nach einer Verfassungsänderung sei eine derartige Regelung nicht möglich, weil zur Abwehr eines Terroranschlags Leben nicht gegen Leben abgewogen werden dürfe, entschied Karlsruhe damals.
Ob dies auch im Verteidigungsfall gilt, lässt Karlsruhe offen, weshalb Schäuble Terrorangriffe nun als einen Quasiverteidigungsfall einstufen will.
Doch die vorgeschlagene Grundgesetzänderung hätte noch mehr Folgen. Auch der militärische Einsatz gegen einen unzulässigen Generalstreik wäre möglich, warnte Anfang des Jahres der Verfassungsrechtler Martin Hochhuth in einem Interview mit der taz.
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