Terror in Nigeria: Boko Haram übt blutige Rache
Islamisten verüben Massaker mit 41 Todesopfern in einer Schule im Nordosten des Landes. Seit zwei Monaten herrscht Ausnahmezustand.
COTONOU taz | Mehr als 40 Kinder und ein Lehrer sind am Samstag in Mamudo, einer Stadt im Bundesstaates Yobe im Nordosten Nigerias, ermordet worden. Erst schossen die Angreifer auf die Schüler, die ein staatliches Internat besuchten, dann legten sie Feuer. Zahlreiche weitere Opfer sollen zum Teil mit schweren Verletzungen entkommen sein. Mindestens bei vieren soll der Zustand kritisch sein, berichten nigerianische Tageszeitungen am Sonntag.
Verantwortlich für das Massaker sind offenbar Anhänger der islamistischen Gruppierung Boko Haram (Westliche Bildung ist Sünde), die Verbindungen zu al-Qaida hat und seit mehr als zwei Jahren als Nigerias größtes Sicherheitsrisiko gilt. Damit hat sie bewiesen: trotz Ausnahmezustand in den drei Bundesstaaten Borno, Yobe und Adamawa und einem massiven Militäraufgebot ist sie nicht besiegt.
Der Ausnahmezustand gilt bereits seit knapp acht Wochen. Gerade hat Präsident Goodluck Jonathan ihn bei einer Ansprache zum „Tag der nigerianischen Armee“ wieder einmal gerechtfertigt. Er habe handfeste Ergebnisse gebracht. Außerdem müsse die Regierung mit präventiven Anti-Terrorismus-Maßnahmen auf die momentane Entwicklung antworten. Das heißt: Das Aufgebot von Militär und Polizei ist im Norden nach wie vor hoch.
Erfolgsmeldungen und ein Amnestieangebot der Regierung
In den Anfangswochen hat der Einsatz aus Sicht der Regierung zu regelmäßigen Erfolgsmeldungen geführt. Lager der Gruppierung wurden aufgedeckt, Dörfer von der schwarzen Islamisten-Flagge befreit. Auch über Festnahmen wurde berichtet. Doch von wenigen Ausnahmen abgesehen, sind die ganz großen Erfolgsmeldungen ausgeblieben.
Der katholische Priester George Ehusani, der sich in Nigeria für den interreligiösen Dialog einsetzt und heute die Stiftung „Lux Terra“ leitet, befürchtet deshalb nun: „Die Islamisten könnten sich in anderen Regionen Nigerias ausbreiten.“ Damit sei das Terrorismusproblem keinesfalls gelöst. Ehusani fordert deshalb: „Es muss eine nachhaltige Lösung für den Norden geben.“
Dass das keineswegs unwahrscheinlich ist, hat Ende Mai der Anschlag auf eine Uran-Mine im Niger gezeigt. Dazu bekannte sich die Bewegung für Einheit und Dschihad in Westafrika (MUJAO), die vergangenes Jahr weite Teile im Norden Malis erobert hatte. George Ehusani fordert deshalb: „Es muss eine nachhaltige Lösung für den Norden geben.“
Dafür sollte das Amnestiekomitee sorgen, dessen Vorsitzender Rechtsanwalt Kabiru Tanimu Turaki ist. Denn neben dem massiven Militäreinsatz gegen Boko Haram versucht die Regierung weiterhin eine zweite Strategie: Ausstiegswilligen Mitgliedern, die dem Terror abschwören und ihre Waffen niederlegen, soll eine Art Straferlass gewährt werden. Zuvor sind jedoch Gespräche notwendig, die überhaupt erst zu einem Dialog führen, heißt es von Seiten des Komitees.
Menschenrechtler kritisieren das Vorhaben
Doch seit mehr als zwei Jahren gab es immer wieder ähnliche Überlegungen und Angebote. Boko Haram hat sich indes nie darum geschert. „Das ausgerechnet jetzt zu erneuern ist widersprüchlich“, kritisiert Emmanuel Nnadozie Onwubiko, Vorsitzender der Organisation Schriftsteller für Menschenrechte (Huriwa), „der Ansatz ist nicht sonderlich intelligent.“
Außerdem, so wird kritisiert, sei das Komitee bereits vor seiner offiziellen Gründung schon totgeredet worden. Angeblich ernannte Mitglieder lehnten reihenweise ihren Einsatz ab. „Ganz ehrlich, wenn ich das Gespräch mit einer solchen Gruppe suche, dann lasse ich das sehr diskret ablaufen. Aber nicht so“, sagt ein Beobachter, der für den nigerianischen Staat arbeitet.
Mittlerweile musste die Regierung auch von internationaler Seite Schelte einstecken. In der vergangenen Woche verkündete die Menschenrechtsgruppe Human Rights Watch an, sie würde die Amnestiebemühungen für eine völlig falsche Entwicklung halten. Die zahlreichen Verbrechen von Boko Haram seien kein Fall für einen möglichen Straferlass oder eine Begnadigung, sondern viel eher für den internationalen Strafgerichtshof in Den Haag.
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