: Terror in Entenhausen
■ Uraufführung von Peter-Paul Zahls „Die Erpresser“
Sooo beliebt“, das wissen wir, dank der taz-Klatschspalte aus Berliner Szenekreisen, War Peter-Paul Zahl im Knast nun auch wieder nicht. Soo beliebt ist er wahrscheinlich auch im baden-württembergischen Kultusministerium nicht; aber trotzdem hat Mayer-Vorfelder via Autorenstiftung die „verdammte Pflicht und Schuldigkeit eines Gemeinwesens“ (Zahl) erfüllt und dem Freiburger Wallgrabentheater, einem gutbürgerlichen Kellertheater, das seine experimentellen Ambitionen seit dem Ende des Existentialismus begraben hat, Gelder unter der Maßgabe zukommen lassen, Zahls „böse Komödie“ Die Erpresser auf die Bühne zu bringen. Erste Versuche im Frühsommer waren trotz PPZ's reger dramaturgischer Anteilnahme gescheitert: Der Autor und sein musikalischer Begleiter Georg Danzer, das Ensemble und ein sichtlich überforderter Regisseur waren sich bei dem anstrengenden Unterfangen, „im Sinne Brechtscher Ensemblearbeit ein Gesamtwerk zeitgenössischer Kunst zu eröffnen“, schwer in die Haare geraten.
Nun wäre fast auch der dritte Anlauf zum „Gesamtkunstwerk“ gescheitert. Zahl, von den Proben frühzeitig ausgeschlossen und durch die „Strichfassung“ in seiner politischen und dramatischen Ehre verkürzt, beantragte von seinem jamaikanischen Exil aus eine Einstweilige Verfügung gegen die Wallgraben-Fassung seiner Erpresser. Rudolf Danker, der Regisseur, habe, so ließ er die Prinzipalin in einem Brief wissen, „sämtliche politischen Anspielungen von CDU bis RAF getilgt“ und damit seine „sehr böse, sehr menschliche, sehr brisante und politische Komödie kastriert und entstellt“, ja, durch „übelste politische und ästhetische Zensur kriminell entschärft“. Einen solchen „pietätlosen Umgang mit lebendigem Text und (noch) lebendigem Autoren“ wolle er sich nicht bieten lassen. Sein Antrag soll nun am Freitag vor der Urheberrechtskammer des Landgerichts Mannheim verhandelt werden.
Die Premiere aber war leider nicht mehr zu verhindern. Man kann den Zorn Zahls zwar nachempfinden, aber kaum teilen: Der Regisseur hat zu retten versucht, was nicht zu retten ist. Daß er dabei das Stück, das so beschaffen ist, daß ihm jede Kürzung guttut, fast ins Gegenteil verkehrt hat, steht freilich auf einem anderen Blatt. Die Erpresser: Das sind Tick, Trick und Track, drei mit Entenschnäbeln vermummte Ökoterroristen, die Dr. Bauer, den progressiv-dynamischen Arbeitergeberpräsidenten, in ihre sanfte Gewalt gebracht haben, um der Charaktermaske die Geheimnisse der Macht und dem Krisenstab der rot-grünen Regierung inhaftierte Gesinnungsgenossen abzupressen. Doch der vertrackte Staat läßt sich nicht erpressen; er hält — auch diese nicht untypische Passage wurde gestrichen — „sein ganzes Volk als Geisel und wischt sich mit der Verfassung den Arsch ab“.
Daß Zahl nach elf Jahren Knast und fünf Jahren Karibik („Jetzt muß eine Hängematte her/ und nur noch Bacardi in den Adern fließen“, heißt es in der von Danzer matt vertonten Lyrik) den Kontakt zur deutschen Realität verloren hat; daß er, immer noch Anhänger kruder Verschwörungstheorien, nostalgisch den „guten alten Zeiten“ nachtrauert, als es dank der Panzerknacker von der RAF noch ordentlich „gerumst und geschnackelt“ hat; daß er schließlich, nicht sehr phantasievoll, Schleyer-Entführung und Stammheim zurück in die Zukunft der späten 90er Jahre projiziert: All das kann man ihm nicht verdenken; die Kontaktsperre hat nicht er zu verantworten. Aber daß er ein pubertäres Klamaukstück mit uralten Politkalauern, Herrenwitzen und schwülstigen Agitprop-Monologen, in denen jede Rollendifferenz verschwindet, als anarchische Posse im Sinne von Dario Fo, Bracht und Kabuki (um nur eine kleine Auswahl der herbeizitierten Eideshelfer zu nennen) rühmte, ja, als Drama des 21.Jahrhunderts („Deutschlands Gegenwarts- und Zukunftstheater? Hier ist es!“) ausposaunt — das ist denn schon dreist.
Regisseur Danker, der schon vorab wenig Hehl daraus gemacht hatte, daß für ihn „matschige Solidarität“ und „verquaster Agitprop seit fünfzehn Jahren abgefrühstückt“ sind, hat den Vortrag der „Kernsätze des Anarchismus“ rigid zusammengestrichen, temporeich auf Turnschuhen heruntergespielt und so allerdings politisch entschärft. Wo Zahl sich hinter den Entenhausener Dreikäsehochs nur verstecken wollte, um die „Gehirnwäscher, Gewissenskiller, Verfassungsschänder und Seelenverkäufer“ in Bonn desto schärfer geißeln zu können, hat er die Tricks der Herrschenden wie die vertrackten Einsichten ihrer Feinde als Zeitungsenten und Sprechblasen dummer Gänse einer wohlfeilen Lächerlichkeit preisgegeben. „Nie wieder Faschismus! Nie wieder Krieg!“, skandiert da das Trio im Duckwalk-Gleichschritt, „nie wieder zweite Liga!“ — überflüssig zu sagen, daß diese Passage auf Dankers Mist gewachsen ist.
Schon wahr, auch Zahl wollte „den Staatsterrorismus als Comic, den Widerstand als Slapstick“ zeigen: „Wo die Wirklichkeit zur Farce wird, ist die Komödie die einzige Darstellungsform.“ Aber sooo, bei allen Marx-Brothern, hat er es nun auch wieder nicht gemeint. Übrigens hat Zahl seit 1986 schon ein „Komplementärstück“, gewissermaßen die Stadttheaterfassung zu seiner Freiburger Kammerspielversion, in der Schublade liegen: Erpreßbar — oder: Niemand geht aus diesem Raum ohne Schuld behandelt den nämlichen Fall aus der Sicht des rot- grünen Krisenstabs. Aber die „große Farce“ mit Geiselnahme des Publikums wird er, wenn er den „Mißinterpretationsorgien“ und Zeitgeist- Hurricans entschlossen begegnen will, wohl eigenhändig mit seiner Laienspielschar aus Longaby, den „Portland Comedians“, aufführen müssen. Martin Halter
Peter Paul Zahl: Die Erpresser. Regie: Rudolf Danker, Musik: Georg Danzer. Wallgrabentheater Freiburg.
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